Naerrisches Prag
schon immer die Waschküche. Worum geht es Ihnen?«
Die größere der beiden Frauen, eine stattliche Sechzigerin mit rötlich gefärbtem Haar und auffallenden Ohrringen, musterte mich kritisch. Ich bemühte mich, harmlos dreinzublicken, und redete entschlossen weiter:
»Ich würde dort sehr gerne kurz hineinschauen.«
»In die Waschküche?«
»In meine einstige Behausung.«
Die beiden Frauen wechselten einen raschen Blick, dann sagte die stattlichere, die mit den Ohrringen, während sich die andere, rundliche und sehr beunruhigt dreinschauende nachdrücklich in der Haustür postierte:
»Sie waren die Besitzerin von Nr. 7 ? Jetzt wollen Sie restituieren?«
»Wie bitte?« Ich dachte mich verhört zu haben, begriff jedoch, eine solche Befürchtung könnte der Grund für die abweisende Haltung der beiden sein. »Nein, nein. Ich habe in der Mansarde unter dem Dach ...«
»Dort ist die Waschküche, da gibt es nichts zu sehen. Und sie war immer dort.«
Die Frauen wechselten abermals einen einverständlichenBlick und schlüpften überraschend flink ins Haus. Vor meiner Nase krachte die Tür zu.
Das war mein zweiter Versuch, der fehl ging.
Auf dem Heimweg von diesem mißglückten Unterfangen stellte ich mir selbst die Frage: Warum liegt mir so sehr daran, in Nr. 7 noch einmal bis unter das Dach zu klettern? »À la recherche du temps perdu«, auf den Spuren der verlorenen Zeit gleich Marcel Proust? Mich trieb eher das Gegenteil an, ich wollte die Zeit vergegenwärtigen, für mich faßbar machen und ein Kapitel als meine ganz persönliche Vergangenheit festhalten. Zu viel und zu oft wurde mir ein Stück, vielleicht ein gerade wichtiger Bestandteil meiner Vergangenheit, entrissen, verteufelt oder wenigstens verdunkelt. Manchmal tragisch, manchmal eher komisch (»... Sie waren die Hausbesitzerin?«). Auf der Vergangenheit ist jedoch unsere Gegenwart aufgebaut, sie ist ein unentbehrlicher Baustein unseres Lebens. Deshalb klaube ich das bißchen zusammen, das mir in Prag geblieben ist.
Das kann gewiß auch das Wesen, mein stummer Begleiter an den drei Tischen, verstehen.
Es war ein Telefonanruf, mit dem mir ein Regisseur des Fernsehens eröffnete, er habe beschlossen und dazu auch den Auftrag erhalten, mich im Rahmen eines Programms vorzustellen, das Bürger mit sehr unterschiedlichen und bewegten Schicksalen der Öffentlichkeit vorführt. Als ich ihn dann persönlich kennenlernte, gab es zwischen uns ein gutes Einverständnis, und ich sagte zu. Wir überlegten gemeinsam, welche Stellen in Prag wir bei dieser Arbeit aufsuchen sollten.
»Sie haben doch eine Zeitlang auch in der Melantrichgasse gewohnt«, sagte der Mann, »da müssen wir natürlich hingehen und in dem Haus drehen. Welches ist es denn?«
»Nummer sieben.«
»Ist das so ein schmales, frisch rosa getünchtes?«
»Ja. Und unten im Erdgeschoß befindet sich ein Laden mit Antiquitäten.«
Wird es diesmal klappen, überlegte ich hoffnungsvoll. Jetzt kam ich nicht allein, sondern rückte in Begleitung von drei jüngeren, handfesten Männern an, kam mit dem Regisseur, einem Kameramann und einem Tonmeister zu Nr. 7.
Die Haustür war auch diesmal verschlossen, auf wiederholtes energisches Klingeln gab es keine Reaktion.
»Ich sagte Ihnen doch ...«
Der Regisseur unterbrach mich. »Hat einer von euch einen Schraubenzieher?« fragte er seine Kollegen.
Der Kameramann holte aus seiner großen Tasche ein winziges Ding hervor. »Nur so was.«
Wortlos schob der Regisseur den Minischraubenzieher in das Schloß, drehte ihn vorsichtig um, und lautlos, als ob sie an unserer Konspiration teilhaben wollte, ging die schmale Haustür auf.
»Na? Treten Sie näher, Sie waren ja hier zu Hause.«
Die drei Männer lächelten, hatten offenbar ihren Spaß an dieser ein wenig ungewöhnlichen Expedition. Mir schnürte etwas die Kehle zusammen.
Auf den ersten Blick war alles wie einst. Der kurze halbdunkle Korridor, an seinem Ende der schon für die damalige Zeit überraschende Aufzug in dem alten Haus. Und Stille im Treppenhaus. Ich aber hörte meinen NachbarnPepek, wie er am Morgen die Treppe hinuntersaust, weil er wieder einmal verschlafen hat. In Auschwitz ist er dann für immer eingeschlafen. Auch die Stöckelschuhe meiner zweiten Nachbarin namens Mánička hörte ich herbeiklappern. Die war tagsüber für ihre männlichen Kunden da und verließ am Abend unser Haus. Ein gutherziges, fast könnte man sagen trotz allem unschuldiges Mädchen. Was wohl aus ihr geworden
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