Naerrisches Prag
brauchen den Chef gar nicht.« Und ich erklärte, daß wir uns nur einen Augenblick hier umsehen wollten, und sagte auch, warum.
Die junge Frau schüttelte abweisend den Kopf.
»Die Tür links, das war Nenads Zimmer, und die rechte führte in unsere beiden Räume«, begann ich mit einemmal zu erzählen, als ob wir allein da wären. »Hinter uns«, und ich wandte mich ein wenig um, »hinter dieser Tür wohnte das Partisanenehepaar.«
Das alles erläuterte ich von der Schwelle aus. Die junge Frau stand verwundert und jetzt schon sichtbar unschlüssig weiter vor uns. »Aber der Chef ist nicht da«, murmelte sie, »und nur er ...«
»Schon gut«, sagten wir, »wir wollen Sie nicht weiter belästigen und besten Dank.«
Als wir die Treppe hinabstiegen, meinte Anna, sie hätte nun eine recht vage, aber immerhin gewisse Vorstellung davon, wie wir damals wohnten. Mir ging durch den Kopf, wie oft ich schon irgendwo einziehen und dann wieder ausziehen mußte und wie sonderbar es doch ist, daß ich in meiner jetzigen Prager Wohnung, die ich mir übrigens auch nicht selbst gewählt habe, die mir zugeteilt wurde, daß ich da nun bereits seit vielen Jahren festsitze. Und wie schön es ist, in seiner Stadt zu Hause sein zukönnen. Denn ich weiß nur allzu gut, daß das nicht immer und nicht überall so selbstverständlich ist.
Es war tropisch heiß in Belgrad. Das schien uns nicht weiter verwunderlich; in jenem Sommer war es ja selbst in Prag tropisch heiß. Wir dampften beinahe, als wir uns zu meiner einstigen Arbeitsstelle auf den Weg machten.
Sehr bald nach meiner Ankunft aus Mexiko wurde ich im Herbst des Jahres 1945 in der tschechischen Redaktion der Auslandssendungen des Belgrader Rundfunks angestellt. Jeden Tag marschierte ich in den nächsten Monaten aus dem unbeheizten Hotelzimmer, in dem man meinen Mann und mich untergebracht hatte, vergnügt zur Arbeit in einem zwar kärglichen, aber immerhin sparsam beheizten Senderaum. Im ersten Nachkriegsjahr führte mich mein Weg durch abenteuerliche Straßen, in denen die Bombenlöcher, wenn überhaupt, nur notdürftig zugeschüttet waren. Zauste der eisige, hier irgendwie horizontal fegende Košava-Sturmwind durch die Stadt, waren an manchen Übergängen Seile gespannt, an denen man sich halten konnte, um überhaupt die gegenüberliegende Straßenseite erreichen zu können. Zwischen den Schneeverwehungen und von den löchrigen Dächern herabhängenden dicken Eiszapfen kam ich mir beinahe wie der Polarforscher Amundsen oder Nobile vor.
Die Straße, die uns nun zum Rundfunkgebäude führte, war angenehm schattig, mit stattlichen Bäumen am Rande der Gehsteige. Zu beiden Seiten standen solide Häuser mit kleinen Lädchen und auf internationalen Schnitt arrangierten Cafés und Bars.
Bin ich wirklich hier jeden Tag auf meinem Weg zur Arbeit durchgelaufen? Im Winter stapfte ich durch knöchelhohen Schnee, städtische Verkehrsmittel funktioniertennoch nicht. So glitt und rutschte ich vorwärts und schüttelte mich, am Ziel glücklich angekommen, wie ein nasser Pudel, um die Schneeklumpen von Schultern und Armen abzuklopfen, ehe ich das Gebäude betrat. Manchmal lag auch drinnen ein wenig Schnee, tanzte durch die Risse und Spalten in dem Gemäuer herein.
Jetzt stand ich verschwitzt vor einem großen Bau und staunte. Vor mir erhob sich ein mehrstöckiges Eckhaus, imponierend und gewichtig, als ob es immer so ausgesehen hätte. Doch damals, im Winter 1945, räkelte sich hier trotzig ein Kriegsinvalide, baufällig, mit Schuttgeröll ringsum und nur notdürftig für den Rundfunkbetrieb ausgerüstet. Aber funktionierend. Alle Sendungen gingen live in den Äther, es gab fast keine Technik. Bis eines Tages ...
Bis eines Tages eine Delegation des Prager Rundfunks zu Besuch kam und ein Tonbandgerät mitbrachte. Das war ein wirklicher Feiertag, denn von nun an konnten wir die Aufnahme der Sendung unterbrechen und die Ratten verjagen, die aus den zahlreichen Löchern und Rissen in der Wand hervorstießen und unbekümmert durch den Raum spazierten.
So war das damals in Belgrad, mein lieber Unsichtbarer, der du gleichzeitig an drei Tischen zu sitzen pflegst und jetzt vielleicht kritisch erwägst, warum ich mich so ausgiebig bei meinem Besuch in Belgrad aufhalte, wo doch Prag den Gegenstand unseres gemeinsamen Interesses bildet. Aber gerade darum geht es in Wirklichkeit auch diesmal. Denn egal wo ich bin, wohin auch immer mich meine Wege oft unerwartet führen, plötzlich, ganz unverhofft,
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