Naerrisches Prag
für mich selbstverständlich, an der Seite meines Gatten zu bleiben. Schließlich, so tröstete ich mich, werde ich mich ja schon in der Nähe, auf demselben Kontinent befinden, kein Ozean wird mich mehr von meinem einstigen und ganz bestimmt irgendwann auch wieder richtigen Zuhause trennen. Ich wußte bereits, daß in Prag niemand auf mich wartet, daß von meinen Lieben kein einziger Mensch mehr am Leben ist. Wenn ich jedoch durch die schlimm zerbombten Straßen Belgrads lief, sehnte ich mich ganz selbstverständlich nach den vertrauten Gassen und Plätzen meiner Heimatstadt, hatte ich doch zu meiner riesigen Freude noch in Mexiko erfahren, daß sie glücklicherweise vom Kriegswüten nur gering betroffen wurde.
Meine Tochter brachte ich, wie schon gesagt, in Belgrad auf die Welt. Als sie zwei Jahre alt war, verließen wir ihren Geburtsort, setzten uns endgültig in dem meinen fest. Mein Kind hat nie eine Großmutter, nie eine Tante oder einen Onkel gehabt. Zudem wuchs es in einer Stadt auf, in der es nicht geboren, in die es sozusagen verpflanzt wurde. Anna konnte sich natürlich nicht daran erinnern, wie das Haus, die Straße oder der Park aussah, wo sie ihre ersten Schritte versuchte. Sie wußte auch nicht, ob das Geburtshaus ihres Vaters – wenigstens ein fester Punkt – in Zemun, einem Vorort der serbischen Hauptstadt, überhaupt noch stand. Hinter uns beiden klafft menschenleere Vergangenheit. Als unsere Tochter heranwuchs, littsie immer mehr darunter und ich mit ihr, konnte es freilich nicht ändern. Oder doch?
»Wir müssen einmal nach Belgrad fahren und nach Zemun«, erklärte ich wiederholt. »Ich möchte dir zeigen, wo wir gewohnt haben, durch welche Straßen ich dich im Kinderwagen kutschiert habe, und wir könnten auch versuchen, in Zemun das Geburtshaus deines Vaters ausfindig zu machen. Ich kann mich dunkel erinnern, wie es aussah, habe es aber nur ein- oder zweimal gesehen. Vielleicht lebt der Nachbar der Familie, ein Mitschüler Balks, noch. Er war ein Bäckermeister und stand deiner Großmutter, soweit er konnte, in den schlimmsten Kriegszeiten bei. Sie war ja allein in dem Haus. Der könnte uns wohl allerhand erzählen.«
Auf diesen Plan kamen wir oft zu sprechen, aber stets ohne einen festen Termin. Mit meinem unaufhaltsam vorrückenden Alter wurde ich allmählich nervös. Noch kann ich mich an die Stadt, die Straßen, den Park, das Rundfunkgebäude, in dem ich arbeitete, vage erinnern. Auch an das alte Kaffeehaus Moskva, in dem ein Oberkellner, der hier vielleicht schon Könige und später ihre ungeadelten Nachfolger bedient hatte, mir in den hungrigen Nachkriegsjahren manchmal eine mit Marmelade bestrichene Schnitte zuschob, ohne dafür einen Abschnitt meiner Brotkarte zu verlangen. Noch waren solche Erinnerungen in mir wach. Aber wenn wir weiterhin warteten ...
Im August des Jahres 2003 war es endlich soweit. Ich flog mit Tochter und Schwiegersohn in die einstige Metropole Jugoslawiens, nach Belgrad, die jetzige Hauptstadt der Serbischen Republik. Ich war ein bißchen nervös, denn nun wartete ja auch dort niemand auf mich. Hätteich nicht lieber in der Sommerschwüle zu Hause in Prag bleiben sollen? Werde ich mich noch serbisch verständigen und die kyrillischen Schriftzeichen lesen können?
Das Vorspiel zu dieser Reise war nicht gerade ermunternd.
Im Zug der Vorbereitungen besuchte ich das größte, älteste und gut etablierte Reisebüro in Prag, um Hotelzimmer in der Hauptstadt Serbiens zu buchen.
»Warum wollen Sie nach Belgrad fahren?« staunte eine mollige Blondine im marineblauen Firmenkostüm, als ich meinen Wunsch vortrug. »Alle Menschen fahren nach Kroatien. Nach Belgrad fährt niemand.«
»Schon möglich. Aber wir haben die Absicht, Belgrad zu besuchen.«
»Kroatien kann ich Ihnen wärmstens empfehlen«, fuhr die Angestellte des Reisebüros unbeirrt fort. »Sie können dort in der angenehm temperierten blauen Adria baden. Bei der diesjährigen tropischen Hitze ist das doch geradezu ...«
»Verzeihen Sie«, unterbrach ich ihre zweifellos gutgemeinten Ratschläge, »können Sie mir bitte in Belgrad ein Hotel empfehlen?«
Sie seufzte, schüttelte verständnislos den Blondkopf und bemerkte nur noch kurz: »Niemand fährt nach Belgrad.« Dann blickte sie dennoch resigniert in den Computer, seufzte noch einmal und sagte schließlich:
»Das Internet empfiehlt nur zwei Hotels. Die Nacht für zweihundert oder zweihundertfünfzig Dollar.«
»Kommt für uns drei Personen
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