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Naerrisches Prag

Naerrisches Prag

Titel: Naerrisches Prag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerová
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überhaupt nicht in Frage«, wandte ich ein. »Es muß doch in der serbischen Hauptstadt noch weitere Unterkünfte geben.«
    »In Kroatien ist eine Menge in allen Preislagen angeführt«,informierte mich die Dame im marineblauen Kostüm liebenswürdig, wiederum mit einem kleinen Seufzer, der diesmal zweifellos meiner Hartnäckigkeit galt. »Nach Belgrad fährt niemand«, fuhr sie fort, »es sei denn im Dezember, wenn dort kommerzielle Konferenzen stattfinden. Da könnten wir ... Sie haben kein Interesse, Madame?« bemerkte sie überrascht und ein wenig pikiert, als ich mich aus dem gleichfalls marineblauen Sesselchen vor ihrem Pult erhob.
    »Besten Dank für Ihr Entgegenkommen«, sagte ich und wandte mich dem Ausgang zu, wollte mir nicht weiter mein Reiseziel verleiden und mich entmutigen lassen.
    Auf der Straße mußte ich dann lachen. Wollte mir etwa das Wesen, das gleichzeitig an drei Tischen zu sitzen pflegt, auf kuriosen Umwegen von dieser Reise abraten, oder war meine erstaunliche Erfahrung in dem Reisebüro nur ein neuer Beweis für das mir so liebe Närrische, das in Prag oft sein Unwesen treibt? Dieses Gemisch von Wirklichem und wirklich Unwirklichem, dem man hier auf Schritt und Tritt begegnen kann, wenn man versteht, es wahrzunehmen. Vom sagenhaften homunculus Golem über Franz Kafka und den braven Soldaten Schwejk bis zu dem Dissidenten und Autor absurder Dramen Václav Havel, der eines Tages auf der Burg der böhmischen Kaiser und Könige Einzug hielt.
    Wir kamen in Belgrad in einem bescheidenen, nicht ungemütlichen, aber auch ein bißchen komischen Hotel recht gut unter. Seine Mängel waren mir aus kaum vergangenen Jahren in Prag vertraut, ich wußte, wie man ihnen beikommen kann.
    »Here you are!« begrüßte uns an jedem Morgen die nicht mehr ganz junge Serviererin im Frühstückszimmer. Es freute sie, an den ausländischen Gästen ihre mühsam erworbenen Kenntnisse der Fremdsprache ausprobieren zu können. Sie bot auch »cheese, egg and paradajke« an. Der serbokroatische Ausdruck für Tomaten rutschte ihr ganz unversehens in den neuen Wortschatz.
    Here you are! Ja, hier war ich wieder nach einer sehr langen, mit den unterschiedlichsten Erlebnissen angefüllten Pause. Diesmal kam ich nicht als ein nur wenige Wochen nach Kriegsende endlich nach Europa heimkehrender Flüchtling, der in diesem Land allerdings nicht zu Hause war. Diesmal kam ich von zu Hause und konnte dorthin auch ungehindert zurückkehren. Ich mußte mich nach Prag nicht mehr sehnen, ich war inzwischen zu seinem Bestandteil geworden. Nur wer eine solche Sicherheit lange vermissen mußte, wird verstehen, mit welch innerer Ruhe ich jetzt mein Wiedersehen mit Belgrad feierte.
    Das altehrwürdige Café Moskva, ein nicht wegzudenkendes Stück dieser Stadt, steht noch an seinem gewohnten Platz. Modernisiert und auf Trab gebracht. Es wurde um einen Viersternchen-Anbau erweitert, der im Geist der neuen Zeit stolz die international verständliche Bezeichnung »Moscow« über seinem Eingang aufleuchten läßt. Dem gutherzigen alten Oberkellner von einst begegnete ich natürlich zu meinem aufrichtigen Bedauern nicht mehr. Zu viele Jahre sind inzwischen vergangen. Jetzt laufen hier flott gekleidete junge Menschen zwischen den Tischen. Einer überreichte mir eine umfangreiche Speisekarte. Ich wählte erwartungsvoll eine Sachertorte. Die Portion war üppig, schmeckte aber zu meinemLeidwesen irgendwie jugoslawisch touristisch, keineswegs wienerisch, wie ich gehofft hatte.
    Mein erster Eindruck von der Stadt, die ich ganz gut zu kennen glaubte, war verblüffend. Straßenweise sah es hier wie in Prag vor etwa fünfzehn, zwanzig Jahren aus: vernachlässigte Gassen, verstaubte Schaufenster, mürrisch und besorgt dreinblickende Menschen. Kaum erreichte man jedoch die neue, großzügig angelegte Fußgängerzone im Herzen Belgrads, betrat man die Welt von heute mit feinen Geschäften, denselben wie in allen Metropolen, und mit einem unwahrscheinlich vielfältigen Angebot von einladenden Kaffeehausterrassen und Restaurants mit internationalen Menüs auf bestem Niveau. Ich kam mir ein wenig wie Alice im Wunderland vor und feierte mit den einst so seltenen hiesigen Leckerbissen wie Musaka, Tschewaptschitschi und Razhnitschi ein nostalgisch freudiges Wiedersehen. Sie schmücken nunmehr als »lokale Spezialitäten« jede Speisekarte.
    Angesichts der an einem Sonntagmorgen fröhlich über die »Terazije«, so etwas wie den Prager Wenzelsplatz, flanierenden

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