Nahe dem wilden Herzen (German Edition)
über den Sandstreifen, der zum Haus der Tante führte und den nahen Strand vermuten ließ. Unter den Sandkörnern wuchsen dünne, dunkle Gräser hervor, die sich struppig auf der lockeren, weißen Oberfläche krümmten. Heftiger Wind wehte vom unsichtbaren Meer herüber, er brachte Salz und Sand mit sich und das müde Rauschen des Wassers, verwickelte die Röcke zwischen den Beinen und leckte wütend die Haut des Mädchens und der Frau.
»Verflucht«, stieß das Dienstmädchen zwischen den Zähnen hervor.
Ein noch stärkerer Windstoß hob ihren Rock hoch bis ins Gesicht und entblößte ihre dunklen, kräftigen Schenkel. Die Kokospalmen bogen sich verzweifelt, und die verhangene und zugleich unerbittliche Helligkeit wurde zurückgeworfen von Sand und Himmel, ohne dass die Sonne sich schon gezeigt hätte. Lieber Gott, was war nur geschehen mit den Dingen? Alles schrie: nein! nein!
Das Haus der Tante war ein Zufluchtsort, in den der Wind und das Licht nicht eindrangen. Die Frau setzte sich mit einem Seufzer in das düstere Vorzimmer, wo zwischen schweren dunklen Möbeln matt das Lächeln eingerahmter Männer glänzte. Joana blieb stehen, atmete kaum diesen warmen Geruch ein, der nach der kräftigen Meeresluft süßlich und stickig war. Schimmel und Tee mit Zucker.
Schließlich öffnete sich die Tür zum Inneren des Hauses, und ihre Tante stürzte sich in einem großgeblümten Morgenrock auf sie. Bevor sie sich auch nur wehren konnte, wurde Joana zwischen zwei weichen, warmen Fleischbergen begraben, die von Schluchzern erzitterten. Von dort drin, aus dem Dunkel, hörte sie wie durch ein Kissen die Tränen:
»Arme kleine Waise!«
Dann fühlte sie, wie ihr Gesicht von dicken Händen ruckartig von der Brust der Tante entfernt und für eine Sekunde betrachtet wurde. Die Tante machte übergangslos eine Bewegung nach der anderen, in schnellen und abrupten Schüben. Eine neue Welle von Schluchzern erschütterte ihren Körper, und Joana bekam kummervolle Küsse auf die Augen, den Mund und den Hals. Die Zunge und der Mund der Tante waren weich und lauwarm wie die eines Hundes. Joana schloss kurz die Augen, schluckte die Übelkeit und den dunklen Kuchen, die aus ihrem Magen aufstiegen, hinunter, während eine Gänsehaut ihr über den Körper lief. Die Tante holte ein großes, zerknittertes Taschentuch hervor und schnäuzte sich. Das Dienstmädchen saß immer noch mit locker ausgestreckten Beinen und offenem Mund da und betrachtete die Bilder an der Wand. Die Brüste der Tante waren tief, man konnte die Hand hineinstecken wie in einen Sack und eine Überraschung herausholen, ein Tier, eine Schachtel, wer weiß was sonst noch. Mit den Schluchzern wurden sie größer und größer, und aus dem Inneren des Hauses kam ein Geruch von Bohnen, vermischt mit Knoblauch. Irgendwo trank bestimmt jemand gerade große Schlucke Speiseöl. Die Brüste der Tante konnten einen Menschen begraben!
»Lass mich los!«, schrie Joana schrill und stampfte mit dem Fuß auf, die Augen weit geöffnet, am ganzen Körper zitternd.
Die Tante stützte sich wie benommen auf das Klavier. Das Dienstmädchen sagte:
»Lassen Sie sie nur, sie ist einfach müde.«
Joana schnappte nach Luft, war kreidebleich. Sie sah sich mit dunkel werdenden Augen wie gehetzt in dem kleinen Zimmer um. Die Wände waren dick, sie war gefangen, gefangen! Ein Mann auf einem Bild blickte sie hinter seinem Bart hervor an, und die Brust der Tante konnte sich über sie ergießen wie geschmolzenes Fett. Sie stieß die schwere Tür auf und floh.
Eine Welle von Wind und Sand wehte in den Eingang, blähte die Vorhänge auf, brachte leichte, frische Luft hinein. Durch die offene Tür, sie hielt das Taschentuch vor den Mund, um das Schluchzen und ihre Überraschung zu verbergen – oh, welch eine furchtbare Enttäuschung –, sah die Tante eben noch die mageren, nackten Beine der Nichte, sie liefen zwischen Himmel und Erde, bis sie Richtung Strand verschwanden.
Joana trocknete sich mit dem Handrücken das von Tränen und Küssen feuchte Gesicht und holte tief Atem. Noch spürte sie den faden Geschmack jener lauwarmen Spucke und das süßliche Parfum, das von den Brüsten der Tante ausging. Haltlos brandeten heftige Wut und Abscheu in ihr auf, und über eine Felsspalte gebeugt, erbrach sie sich, die Augen geschlossen, der Körper schmerzend und rachsüchtig.
Der Wind leckte jetzt grob an ihr. Blass und zerbrechlich und leichter atmend fühlte sie, wie er salzig, heiter über ihren
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