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Nahe dem wilden Herzen (German Edition)

Nahe dem wilden Herzen (German Edition)

Titel: Nahe dem wilden Herzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clarice Lispector
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Richtung Decke, die im dämmrigen Licht verschwimmt, mit geschlossenen Augen, ohne irgendein Gefühl, nur Bewegung. Der Körper streckt sich, räkelt sich, leuchtet feucht im Halbdunkel – eine gespannte, bebende Linie. Als sie die Arme fallen lässt, verdichtet sie sich wieder, weiß und sicher. Sie lacht leise, dreht den langen Hals von einer Seite zur anderen, beugt den Kopf nach hinten – das Gras ist immer frisch, jemand wird sie küssen, weiche, kleine Kaninchen kuscheln sich mit geschlossenen Augen aneinander. – Sie lacht wieder, ein leichtes Murmeln wie das des Wassers. Sie streicht sich über die Taille, die Hüften, ihr Leben.
    Sie taucht in der Badewanne unter wie im Meer. Eine lauwarme Welt schließt sich schweigsam und ruhig über ihr. Kleine Luftblasen steigen sachte auf, bis sie sich an der Emaille auflösen. Das junge Mädchen fühlt das Wasser schwer auf dem Körper liegen, sie hält für einen Augenblick inne, als hätte man ihr auf die Schulter getippt. Aufmerksam achtet sie auf ihre Empfindungen, die hereinbrechende Flut. Was war geschehen? Sie wird wieder ein ernstes Wesen, mit großen, geweiteten Pupillen. Sie atmet kaum. Was war geschehen? Die offenen, stummen Augen der Dinge glänzen immer noch durch den Dampf. Auf demselben Körper, der Freude erahnt hatte, ist Wasser – Wasser. Nein, nein … Warum? Wesen, auf die Welt gekommen wie das Wasser. Sie regt sich, versucht zu fliehen. Alles – sie sagt es langsam, als würde sie etwas hingeben, und erforscht sich, ohne sich zu verstehen. Alles. Und dieses Wort ist Frieden, schwer und unverständlich wie ein Ritual. Das Wasser auf ihrem Körper. Aber was war geschehen? Sie murmelt leise, spricht undeutliche, miteinander verschmelzende Silben.
    Das Badezimmer ist unentschlossen, fast tot. Die Gegenstände und die Wände sind gewichen, verschwimmen und lösen sich in Dampfwolken auf. Das Wasser kühlt sich sacht auf ihrer Haut ab, und sie erzittert vor Angst und Unbehagen.
    Als sie aus der Badewanne steigt, ist sie eine Unbekannte, die nicht weiß, was sie fühlen soll. Nichts umgibt sie, und sie kennt nichts. Sie ist schwerelos und traurig, bewegt sich eine ganze Weile langsam, ohne Hast. Die Kälte läuft mit eisigen Füßen über ihren Rücken, aber sie will nicht spielen, sie zieht sich zusammen, verletzt, unglücklich. Sie trocknet sich lieblos ab, erniedrigt und elend, hüllt sich in den Bademantel ein wie in lauwarme Arme. In sich verkrochen will sie nicht sehen, o nein, sie will nicht sehen, und gleitet durch den Flur – diesen langen roten dunklen verschwiegenen Schlund, durch den sie im Innerem versinken wird, ins Alles. Alles, alles, wiederholt sie geheimnisvoll. Sie schließt die Zimmerfenster – nicht sehen, nicht hören, nicht fühlen. In dem schweigenden, im Dunkel schwebenden Bett kuschelt sie sich ein wie in dem verlorenen Bauch und vergisst. Alles ist unbestimmt, schwerelos und stumm.
    Hinter ihr standen aneinandergereiht die Betten des Schlafsaals im Internat. Und vorn öffnete sich das Fenster in die Nacht hinaus.
    Ich habe ein Wunder über dem Regen entdeckt, dachte Joana, ein Wunder aus großen, ernsten, glitzernden Sternen wie eine stillstehende Warnung: wie ein Leuchtturm. Was versuchen sie zu sagen? In ihnen erahne ich das Geheimnis, dieser Glanz ist das gleichmütige Geheimnis, das ich in mir strömen höre, es weint in langen, verzweifelten, romantischen Tönen. Lieber Gott, mach, dass ich wenigstens mit ihnen in Verbindung treten kann, erfülle meinen Wunsch, sie zu küssen. Auf den Lippen ihr Licht zu fühlen, wie es meinen ganzen Körper durchfährt, ihn funkelnd und durchsichtig macht, frisch und feucht wie die Minuten vor Tagesanbruch. Warum tauchen in mir diese merkwürdigen Dürste auf? Der Regen und die Sterne, diese kalte und dichte Mischung hat mich aufgeweckt, hat die Tore zu meinem grünen und finsteren Wald geöffnet, diesem nach Abgrund riechenden Wald, wo Wasser fließt. Und hat ihn mit der Nacht vereint. Hier am Fenster ist die Luft ruhiger. Sterne, Sterne, ich bete. Das Wort zerspringt zwischen meinen Zähnen zu schwachen Splittern. Warum dringt der Regen nicht in mich ein, ich will doch ein Stern sein. Reinige mich ein wenig, und ich werde die Masse jener Wesen haben, die sich hinter dem Regen verbergen. In diesem Augenblick schmerzt mich meine Inspiration im ganzen Körper. Noch ein wenig, und sie wird mehr sein müssen als eine Inspiration. Und statt dieses erstickenden Glücksgefühls, wie ein

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