Nahe dem wilden Herzen (German Edition)
Übermaß an Luft, werde ich deutlich das Unvermögen empfinden, mehr als eine Inspiration zu haben, über sie hinausgehen zu können, das Ding selbst zu besitzen – und wirklich ein Stern sein zu können. Wohin führt der Wahnsinn, der Wahnsinn. Und doch ist es die Wahrheit. Was bedeutet es schon, dass ich dem Anschein nach in diesem Augenblick noch hier im Schlafsaal bin, die anderen Mädchen tot auf ihren Betten, unbeweglich? Was bedeutet schon, was in Wirklichkeit ist? In Wahrheit knie ich, nackt wie ein Tier, neben dem Bett, meine Seele am Verzweifeln, wie es nur der Körper einer Jungfrau sein kann. Das Bett entschwindet langsam, die Zimmerwände ziehen sich zurück und stürzen ein, besiegt. Und ich bin auf der Welt, so frei und schlank wie ein Reh auf einer Ebene. Ich erhebe mich sachte wie ein Lufthauch, recke meinen Blumenkopf, und schläfrig, leichten Fußes durchschreite ich Felder jenseits der Erde, der Welt, der Zeit, jenseits von Gott. Ich tauche unter und wieder auf wie aus Wolken, aus Gegenden, die noch unerreichbar sind, ach, noch unerreichbar. Aus jenen, die ich mir noch nicht einmal vorzustellen weiß, die aber aufkeimen werden. Ich gehe, gleite, laufe weiter, laufe … Immer, unaufhaltsam dabei, mein müdes Verlangen nach einem Ziel zu zerstreuen. – Wo nur habe ich schon einen Mond hoch oben am Himmel gesehen, weiß und schweigsam? Fahle, im Wind flatternde Wäsche. Ein Mast ohne Fahne, hochgestreckt und stumm in den Raum weisend … Alles wartet auf Mitternacht … – Ich betrüge mich selbst, ich muss umkehren. Ich spüre keinen Wahnsinn in dem Wunsch, in Sterne zu beißen, aber noch existiert die Erde. Und weil die erste Wahrheit auf der Erde und im Körper liegt. Wenn der Glanz der Sterne in mir schmerzt, wenn diese entfernte Verbindung möglich ist, dann weil etwas in mir bebt, das einem Stern ähnlich ist. Hier bin ich wieder zurück im Körper. Zurückkehren zu meinem Körper. Wenn mein Blick in der Tiefe des Spiegels auf mich fällt, erschrecke ich. Ich kann kaum glauben, dass ich Grenzen habe, feste Umrisse. Ich fühle mich wie in der Luft verstreut, als würde ich in anderen Lebewesen denken und in den Dingen außerhalb meiner selbst leben. Wenn mein Blick im Spiegel auf mich fällt, erschrecke ich nicht, weil ich mich hübsch oder hässlich fände. Ich entdecke an mir nur eine andere Beschaffenheit. Wenn ich mich lange nicht betrachtet habe, vergesse ich beinahe, dass ich ein Mensch bin, ich vergesse meine Vergangenheit und existiere frei von Zweck und Bewusstsein wie etwas, was lediglich am Leben ist. Wenn ich mit großen Augen vor dem blassen Spiegel stehe, überrascht es mich auch, dass es neben dem, was ich kenne, noch so vieles in mir gibt, so vieles, was immer still ist. Warum schweigt es? Diese Rundungen unter der Bluse, leben sie ungestraft? Warum schweigen sie? Mein Mund, halb kindlich, der sich seiner Bestimmung so gewiss ist, bleibt sich gleich, obwohl ich gänzlich unaufmerksam bin. Manchmal folgt auf die Entdeckung meiner selbst die Liebe zu mir, ein anhaltender Blick in den Spiegel, ein verständnisvolles Lächeln hin zu denen, die mich ansehen. Eine Zeit der Erkundung meines Körpers, eine Zeit der Völlerei, des Schlafens, langer Spaziergänge an der frischen Luft. Bis ein Satz, ein Blick – wie der Spiegel – mich überraschend wieder an andere Geheimnisse erinnern, an die, die mich grenzenlos werden lassen. Betört tauche ich meinen Körper in die Tiefe des Brunnens, bringe alle seine Quellen zum Schweigen und schlage schlafwandlerisch einen anderen Weg ein. – Augenblick für Augenblick erkunden, den Kern eines jeden Dings, das aus Zeit oder Raum gemacht ist, ergründen. Jeden Moment besitzen, das Bewusstsein damit vereinen wie kleine, fast unsichtbare, aber starke Fäden. Ist das das Leben? Selbst dann würde es mir noch entgleiten. Eine andere Weise, es einzufangen, wäre zu leben. Aber der Traum ist umfassender als die Wirklichkeit, sie erstickt mich in der Bewusstlosigkeit. Was also ist wichtig: zu leben oder zu wissen, dass man lebt? – Ganz reine Worte, kristallene Tropfen. Ich fühle die glänzende, feuchte Form in mir kämpfen. Aber wo ist, was ich sagen will? Wo ist, was ich sagen soll? Inspiriere mich, ich habe fast alles; ich habe die Konturen, die auf die Essenz warten; ist es das? – Was soll jemand machen, der nichts aus sich zu machen weiß? Sich benutzen als Körper und Seele zugunsten von Körper und Seele? Oder seine Kraft in fremde Kraft
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