Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nahe dem wilden Herzen (German Edition)

Nahe dem wilden Herzen (German Edition)

Titel: Nahe dem wilden Herzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clarice Lispector
Vom Netzwerk:
sagte auf eine komische, strenge Art:
    »Sehr gut. Jetzt kommen Sie bitte her, Gnädigste, und lehnen Ihren Kopf an diese werte Brust, denn ich brauche das jetzt.«
    Nur um ihn zufriedenzustellen, lachte sie. Und doch belustigte sie mitten im Lachen durchaus etwas. Sie blieb sitzen und versuchte fortzufahren: Also, er … und bewegte ihre Lippen verächtlich und triumphierend wie jemand, der die erwarteten Beweise erhält. Also, er … War es so? Sie wartete, dass Otávio ihre Haltung bemerkte und erriet, dass sie sich nicht aus dem Sessel wegbewegen wollte. Er hingegen erriet wie immer gar nichts, genau dann, wenn er hinsehen sollte, beschäftigte er sich mit etwas anderem. Jetzt, ausgerechnet jetzt, war ihm eingefallen, das Buch und das Heft, die er auf den Tisch geworfen hatte, ordentlich hinzulegen. Er sah nicht einmal zu Joana hinüber. War er so sicher, dass sie zu ihm gehen würde? Sie lachte boshaft bei dem Gedanken, wie sehr er sich geirrt hatte und was ihr alles durch den Kopf gegangen war, wovon er nicht einmal etwas ahnte. Ja, warum aufschieben?
    Er sah auf, die Verzögerung überraschte ihn. Und da sie sitzen blieb, blickten sie sich von weitem an. Er war verwundert.
    »Also?«, sagte er lustlos: »Meine werte Brust …«
    Joana unterbrach ihn mit einer Geste, weil sie das plötzlich in ihr aufsteigende Mitleid nicht ertragen konnte und auch nicht den Eindruck von der Lächerlichkeit dieses Satzes, während sie selbst so hellwach war und entschlossen zu sprechen. Ihre Bewegung erschreckte ihn nicht, und sie musste vorsichtig die Spucke hinunterschlucken, um das dümmliche Bedürfnis zu weinen, das gerade in ihrer Brust aufstieg, in sich zu unterdrücken.
    Jetzt schloss ihr Mitleid auch sie selbst ein, und sie sah sich gemeinsam mit ihm, bedauernswert und kindisch. Sie würden beide sterben, dieser selbe Mann, der so lebhaft gegen die Zähne geschlagen hatte. Und sie selbst, mit dem oberen Treppenabsatz und all ihrer Fähigkeit, fühlen zu wollen. Die entscheidenden Dinge überfielen sie jederzeit, auch in den leeren Momenten, um sie mit Bedeutung zu füllen. Wie oft hatte sie nicht schon dem Kellner ein übertrieben hohes Trinkgeld gegeben, nur weil sie daran dachte, dass er sterben würde und es nur nicht wusste.
    Sie sah ihn vielsagend an, voller Ernst und Zärtlichkeit. Und nun versuchte sie gerührt zu sein bei dem Gedanken an ihrer beider künftigen Tod.
    Sie legte ihren Kopf an seine Brust, und dort schlug ein Herz. Sie dachte: Und dennoch, trotz des Todes, werde ich ihn eines Tages verlassen. Sie kannte sehr gut die Gedanken, die ihr kommen könnten, die sie bestärken würden, wenn sie gerührt wäre, bevor sie ihn verließ: Ich habe alles abgeworfen, was ich hätte haben können. Ich hasse ihn nicht, ich verachte ihn nicht. Warum zu ihm gehen, selbst wenn ich ihn liebe? Ich mag mich selbst nicht so sehr, dass ich Dinge mag, die ich mag. Ich liebe mehr das, was ich will, als mich selbst. Oh, sie wusste aber auch, dass die Wahrheit genau im Gegenteil dessen, was sie gedacht hatte, liegen könnte. Sie ließ ihren Kopf ruhen und presste ihre Stirn gegen Otávios weißes Hemd. Langsam, sehr sachte, entschwand der Gedanke an den Tod, und sie fand nichts mehr, worüber sie hätte lachen können. Ihr Herz war weich geformt. Mit dem Ohr wusste sie, dass das andere in seiner Gleichgültigkeit weiterhin regelmäßig schlug auf seinem Weg zum Tod. Das Meer.
    Aufschieben, bloß aufschieben, dachte Joana, bevor sie aufhörte zu denken. Denn die letzten Eiswürfel waren geschmolzen, und in ihrer Traurigkeit war sie nun eine Frau, die glücklich war.

DIE ZUFLUCHT BEIM LEHRER
    Joana erinnerte sich sehr gut: Tage vor ihrer Hochzeit hatte sie den Lehrer aufgesucht.
    Sie hatte plötzlich das Bedürfnis gehabt, ihn zu sehen, ihn unerschütterlich und kühl zu spüren, bevor sie fortging. Denn irgendwie schien es ihr, als verriete sie ihr ganzes vergangenes Leben mit der Heirat. Sie wollte den Lehrer wiedersehen, seine Unterstützung fühlen. Und als ihr die Idee kam, ihn zu besuchen, war sie erleichtert.
    Er würde ihr bestimmt die richtigen Worte sagen. Aber welche? Nichts, antwortete sie sich geheimnisvoll, da sie sich in einer plötzlichen Anwandlung von Glauben und hoffnungsvoller Erwartung vorsehen wollte, um ihn ganz neu zu hören, ohne auch nur eine Vorstellung davon zu haben, was sie gewinnen könnte. Es war ihr schon einmal so gegangen: bevor sie als Kind zum ersten Mal einen Zirkus besuchte. Am schönsten

Weitere Kostenlose Bücher