Nahe Null: [gangsta Fiction]
mit einer flüchtigen Bewegung den kurzläufigen Colt spurlos verschwinden, als habe er nie existiert. Das Unterwassergewehr tauchte friedlich wieder auf den Grund. In völliger Stille, die nur von Petrows melodischem Gebrabbel gestört wurde, warf Kryssawin diverse bedrohliche Teile in eine Armani-Papiertüte, streckte sie Salecha hin, knurrte: »Zünder; statt Salpeter geb ich dir reinen Plastiksprengstoff als Bonus; schönen Gruß an Achmad und Mussa; viel Erfolg in Riga«, und brachte die heißblütige Besucherin zur Tür.
»Die will ich hier nie wieder sehen. Hast du mich verstanden, Kryssa?«, zürnte Musa erneut.
»Denunzier sie doch, du zahnlose Hippie-Mumie, verpetz sie an die Tschekisten!«, erwiderte Kryssawin bissig. »Du warst deine ganze Jugend auf Trips und hast mit Bikern, wie man früher sagte, geschnackselt; Blumenkinder, alle sind Brüder und Schwestern, make love, not war, und? Eure ganze Kuschelei, eure Liebe und Faulheit hat nur eins gebracht, Verfettung, universelle Schweinerei, die Macht von Halunken, endlosen Krieg der Bastarde gegen die Freaks. Aber solche wie Salecha, die glauben. Glauben an Gerechtigkeit und Freiheit. Daran, dass man nicht nur lebt, um Gras, Klebstoff und Rindfleisch inwendig und Autos, Datschen und Weiber äußerlich zu konsumieren, sondern auch noch, um die schiefe Welt zu richten, für Ehre und Wahrheit. Salecha, der haben übrigens die Föderalen den Mann und den kleinen Sohn im Shiguli verbrannt, sie wollten gerade zum Spielzeugladen. Schön, der Mann hat vielleicht nachts selber Föderale abgestochen und am Tag den Chemielehrer gemimt. Mal angenommen, wir glauben das, obwohl nichts bewiesen ist, kein Stück! Aber der Sohn? Der kleine Hassan? Er war noch keine zwei, so alt wie Petrow. Wofür er?«
»Hat sie dir das erzählt? Und da wirst du gleich weich, ja, aber wenn du morgen auf dem Basar Khachis in die Luft jagst, hast du da nicht Angst, auch einen kleinen Hassan zu treffen? Oder hängst du einen Zettel an den Eingang: >Wegen einer um 12.15 Uhr stattfindenden Explosion Eintritt für Kinder unter 16 Jahren nur mit Erlaubnis der Eltern«, schlug sich der sich nach orthodoxer Glückseligkeit zurücksehnende Jungmuslim Iwan auf Musas Seite.
»Wenn ich eine Milliarde stehle, aber keine Liebe habe, bin ich nichts«, tönte Rafschan wie ein Muezzin vom Glockenturm. »Und wenn ich Revolutionär geworden bin und gesiegt, ja ein ganzes Volk niedergemetzelt habe, in mir aber null Liebe ist, dann ist auch die Revolution null, und auch der Sieg und das Gemetzel waren umsonst. Und wenn ich mit menschlichen und mit Engelszungen lüge und an nichts glaube und zu jeder Gemeinheit fähig bin, so dass ich Berge versetzen kann, aber keine Liebe habe, so habe ich davon keinerlei Nutzen.«
»Bravo, Rafschan, bravo«, lachte Musa.
»Soll ich weitermachen?«, krümmte sich Kryssawin. »Noch sind wir alle Stümper, aber dann werden wir alle Könner sein ...«
»Ja, ja, jetzt und später und in Ewigkeit - das ist das Beste, wozu wir imstande sein werden, du zweiter Paulus«, sagte Jegor urplötzlich finster.
»Um deinen Humor war's schon immer schlecht bestellt, aber heute noch schlechter als sonst«, kommentierte Musa ebenfalls finster. »Schön, genug. Kryssa, meinen Morgenrock!«
Kryssawin lief los und holte aus einem entlegenen Winkel, aus einer düsteren Truhe Musas Lieblingsmorgenrock, den noch ihr Großvater geschneidert hatte, ein Bodenkundler Stalin'scher Schule, Franz Friedrichowitsch Merz, der aus Preußen gekommen war, um das Arbeiter-und-Bauern-Paradies zu beackern, und sich umbrachte, als er nach einigen Jahren deutliche Anzeichen unheilbarer Russifizierung bei sich diagnostizierte.
Musa sprang aus dem prähistorischen Zuber in den historischen Mantel und öffnete schaumspritzend den herrschaftlichen Schrank. Sie entnahm ihm einen Haufen beschriebenen Papiers und verbogener Disketten.
»Hier.« Sie reichte das Ganze Jegor. »Gedichte, Erzählungen und Stücke. Alles Mögliche. Von Korfagendel, Mizkaja, Kornejewa, Gluschin, Gluchin, Gruschkow, Molotko und ein paar anderen, alle kann man sich ja nicht merken. Such dir was raus, wie immer. Was dir gefällt, bezahlst du. Die Preise so etwa wie üblich. Was nicht passt, kannst du wegwerfen.«
Jegor steckte die Makarow in die Hosentasche, flüsterte: »>Wozu die Sorge um Archive, das Zittern um ein Manuskript<«, empfing mit der nun freien Hand die Ware, schob sie sich unters Hemd und ging zur Tür, wo sein Jackett
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