Nahe Null: [gangsta Fiction]
noch hing.
Kryssawin holte Jegor ein: »Hör mal, Kumpel, Petrow lass lieber hier. Was sollen wir sonst der Petrowa sagen, wenn sie kommt?« Tatsächlich, Jegor hatte ganz vergessen, dass Petrow auf seiner Schulter eingeschlafen war. Er übergab ihn langsam an Kryssawin und verließ die fröhliche Bande.
In dem Altmoskauer Hausflur mit dem Geruch nach Mumbai-Slum (Zimt oder Nelken bei den Nachbarn plus ungewaschene Kakerlaken und Zwiebelreste ...) legte Jegor Papier und Disketten zu einem ordentlichen Stapel zusammen, glättete und bog sie gerade, und obwohl ihm klar war, dass darunter bestimmt kostbare Zeilen waren, wertvoller als das Geld, das selbst so großzügige Spinner wie Sergeitsch und Ktitor dafür zahlen würden, verlor er einige Seiten. Den Rest verteilte er, so gut es ging, auf seine Taschen, wollte umkehren, eine Tüte holen oder wenigstens einen Karton, überlegte es sich jedoch anders und verschwand in der nächtlichen Gasse.
Vor der Haustür schnaubte, sich mit offenen Türen an den Bordstein klammernd, neben Jegors stillem Wallach ein ebensolcher, nur kein sechshunderter, sondern ein fünfhunderter und nicht weiß, sondern grau. Daneben stand Salecha in Gesellschaft zweier Riesen mit farblosen Haaren und Augen und sommersprossigen, rostroten Visagen. Der eine betrachtete den Salecha abgenommenen Colt und den aus ihrer Jeans gezogenen Gürtel. Der andere forderte sie höflich fluchend auf, ins Auto zu steigen. Sie warf einen Blick zu Jegor, zuckte nicht, sagte kein Wort, doch er fühlte ihren ihm unauffällig unters Herz geworfenen, tonlosen Hilfeschrei in seine von dem kleinen Petrow erwärmte Seele dringen. Kryssawins Tüte lag zusammengeknüllt auf der Motorhaube.
»Stimmt was nicht?«, mischte sich Jegor in fremde Angelegenheiten.
»Der Gürtel ist nicht echt. Modischer Firlefanz. Jean-Paul Gaultier steht drauf, siehst du? Bestimmt teuer«, sagte der Riese nicht zu ihm und gab Salecha den Gürtel zurück. Der auf sie einredende Riese 2 drehte sich zu Jegor um und klappte dicht vor seinen Augen einen mit zweiköpfigen Adlern verzierten dicken Ausweis auf, in dem mit riesigen erhabenen Buchstaben, wie für Blinde, geschrieben stand: »Ministerium für Land- und Forstwirtschaft. Sonderabteilung Nr. 602194. Hiermit werden alle Machtorgane und örtlichen Selbstverwaltungsorgane sowie alle Bürger der RF aufgefordert, dem Inhaber dieses Dokuments jegliche Unterstützung beim Auffinden, Einfangen und der Vernichtung streunender Tiere und anderer sozial gefährlicher Organismen zu gewähren.« Riese 2 hielt mit einer Hand Jegor den Ausweis hin, mit der anderen blätterte er die Seiten um, bis Jegor alles gelesen hatte, einschließlich der unleserlich hingekrakelten Unterschrift eines unbekannten Generalgenerals ganz am Ende, neben dem Ablaufdatum.
»Und wer sind Sie?«, fragte der Sonderhäscher, wobei er das Dokument wegnahm und durch eine Pistole ersetzte.
Stirnrunzelnd in die Mündung blickend, zog Jegor aus seiner hinteren Hosentasche einen winzigen Journalistenausweis.
»Gefälscht«, rasselte Riese 2 nach einem knappen Blick. »Zieh ab, bevor du wegen Fälschung verhaftet wirst. Und wegen verweigerter Unterstützung. Und nicht umdrehen.«
Jegor stieg ins Auto. Drehte sich nicht um. Während er zwischen den Gedichten nach dem Schlüssel kramte, hörte er Salecha »Allahu ak...« schreien und einen fast lautlosen Schuss, dann noch einen; hörte die Riesen sagen: »Ich an den Beinen, du an den Haaren, an den Ohren, ein Weib, aber eine Menge Blut, wann lernst du endlich richtig schießen? Auf drei; eins, zwei, drei«, hörte das Zuknallen der Kofferraumklappe, dann der Türen, die Abfahrt im Rückwärtsgang. Jegor startete und fuhr ebenfalls los. Er drehte sich nicht um.
21
Der Morgen an jenem Samstag kam spät, zäh und langsam und war zum Aufwachen ungeeignet, dunkel, dumpf, dösig. Es wurde Nachmittag, und Jegor lag noch immer mit letzter Kraft im Bett. Er konnte beim besten Willen nicht aufstehen, aber auch nicht wieder einschlafen, schaltete den Fernseher ein/aus, holte sich Wasser, ließ es stehen und war schließlich bis zur völligen Ermattung ausgeschlafen. Er hatte Kopfschmerzen, so dass er wie ohnmächtig, wie bewusstlos von der Toilette in die Dusche in die Küche taumelte. Er frühstückte zur Mittagszeit, verzehrte nur halb und mit gleichgültiger Verwunderung das selbstgebratene Omelett mit dem nostalgischen Geschmack nach jenem Löschpapier, das er in der rückständigen
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