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Nahe Null: [gangsta Fiction]

Nahe Null: [gangsta Fiction]

Titel: Nahe Null: [gangsta Fiction] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathan Dubowitzki
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Ära in Botanikstunden zu scheußlichen Spuckkugeln zerkaut und aus einem abgeschnittenen Dreißig-Kopeken-Kugelschreiber auf die doppelten Sitzenbleiber-Brüder Grymm abgeschossen hatte. Die Grymms, das waren die wilden Stamminhaber der Hinterbank der 5 a, schonungslose Schmutzfinken, die ein drittes, dann ein viertes und - so unwahrscheinlich es klingt - sogar noch ein fünftes Jahr in derselben Klasse saßen und erst vor relativ kurzer Zeit mit Ach und Krach aus der dennoch nicht überwundenen glücklichen Schulkindheit direkt in die ebenso glückliche und weit nachsichtigere Erwachsenengegenwart entlassen wurden. Der eine wurde sofort vom Volk (oh, Volk!) zum Bürgermeister einer gewissen nicht ganz kleinen Stadt im Gebiet Moskau gewählt, der andere schaffte es bis zum korrespondierenden Mitglied einer Akademie ziemlich exakter Wissenschaften.
    Jegor war aus zwei Gründen flau zumute. Erstens hatte er absolut keine Lust, seine Tochter zu sehen. Und zweitens wollte er kein solcher Mistkerl sein, der keine Lust hat, seine leibliche Tochter zu sehen.
    Wie immer, wenn er Nastja traf, zog er ein T-Shirt mit dem Micky-Maus-Konterfei an, das er vor einigen Jahren in der Disneyworld Florida oder im Disneyland Paris gekauft hatte. Er hoffte, dass das Gesicht der berühmten Maus übernahm, was seine Augen und Lippen nicht konnten - die Tochter freundlich lächelnd und zärtlich liebevoll ansehen.
    Beim Aufbruch warf er einen hasserfüllten Blick in den Spiegel und beschimpfte sich selbst. Dann stand er zehn Minuten vor dem Almasny herum. Sweta erschien und übergab ihm schweigend Nastja, wie einen melancholischen Spion beim Austausch auf einer Brücke in einem endlosen, zähen und nahezu stummen alten Film.
    Jegor schnallte Nastja auf der Rückbank fest, setzte sich ans Lenkrad und fragte: »Wohin fahren wir, Nastenka?«
    Nastenka Samochodowa gehörte zu jenen Kindern, die von durchaus ansehnlichen, ja sogar hübschen Eltern das Misslungenste, Unschönste erben, mitunter karikaturenhaft zusammengesetzt. Jegors große schiefe Nase klebte bei Nastja absurd in dem von Sweta geerbten schmalen Gesicht. Die unsymmetrischen abstehenden Ohren der Exfrau konnten sich unter den von ihrem Mann vererbten dünnen, spärlichen Haaren nicht verstecken. Die engstehenden, ohnehin nicht großen Augen der Mutter verschwanden unter den väterlichen unkindlichen Neandertaler-Augenbrauenbögen völlig. Jegor ging ein wenig gekrümmt, seine Tochter war geradezu bucklig. Swetlana war mit den Jahren etwas beleibt geworden, die Tochter war mit ihren sechs Jahren fett wie eine Kröte. Von Kopf bis Fuß in Speckwülste gehüllt - schwabbelig wie geschmorte Schweineschwarten -, mampfte sie stundenlang Süßigkeiten und wurde immer dicker und kurzatmiger. Jegor war faul - Nastja schwerfällig wie ein mit Rohypnol vollgepumpter Polyp. Sweta war bissig und giftig - Nastja von dumpfer Bösartigkeit. Sie war ein hässliches, ungeliebtes, zu keiner Liebe fähiges Kind, das mit viel Geduld zu einem fetten, großen, runden, dummen, cholesterinprallen Weib gemästet werden würde.
    So sah Jegor seine elterliche Pflicht.
    »Zur Apotheke«, sagte sie.
    »Wozu?«
    »Hämatogen kaufen und Zahnpasta«, sagte Nastja.
    »Schön, fahren wir.«
    Jegor, der weder mit Nastja spielen noch sich mit ihr unterhalten konnte, kaufte ihr stets alles, was sie wollte, womit er sich der Pflicht enthob, sich eingehender mit ihrer Erziehung auseinanderzusetzen, und ihre strenge Mutter erzürnte. In der nächstgelegenen Apotheke wurden Hämatogen und sieben Tuben verschiedener Zahnpasta erstanden.
    »Wohin jetzt?«, erkundigte sich Jegor. Er hatte keine Ahnung, wohin er mit ihr fahren sollte. »Kino? Zoo? Museum? Theater? Zirkus?«
    »Nein, nein, nein, nein, nein ...«, entgegnete die Tochter.
    »Ins Megacenter, Spielzeug kaufen?« »Ja, gut. Da gibt's Eis und süße Nüsse.« Sie fuhren ins Megacenter.
    »Wieso isst du Zahnpasta?«, entsetzte sich Jegor. »Alle Kinder essen Zahnpasta. Hat Mama mir erzählt. Du hast auch welche gegessen.«
    »Hab ich«, erinnerte sich Jegor. »Aber nicht so viel. Viel ist ungesund.«
    Nastja heulte los, ganz sachlich, ohne Ouvertüre, plötzlich im vertrauten schrillen und schrecklichen Ton der Alarmanlage des klapprigen Hyundai auf dem Hof, der Jegor drei-, viermal die Woche mitten aus dem Schlaf riss. Wie auch Nastja verstummte dieser nicht sofort, sondern erst nach zahlreichen Fußtritten und Ermahnungen des Jegor unbekannten Besitzers, eines

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