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Nahe Null: [gangsta Fiction]

Nahe Null: [gangsta Fiction]

Titel: Nahe Null: [gangsta Fiction] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathan Dubowitzki
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steigen ins IPO ein? Und?«, wurde der arme Jegor direkt an der Tür gestoppt. Ein attraktiv ergrauender, jugendlich alternder Multimillionär mit der Haltung und der Gestalt eines fortschrittlichen Gebietssekretärs der KPdSU/des Komsomol aus einem guten alten sowjetischen Film verwehrte ihm den Ausgang. Der Sekretär hatte auch eine Sekretärin dabei, die ihren Multimillionär liebevoll und zärtlich ihr allerliebstes Multimillionärchen nannte, oder auch kurz und gurrend Multik.
    »Brioni?«, antwortete Jegor mit einer Gegenfrage und einem Kopfnicken auf das Funktionärsjackett.
    »Ganz recht!«, bekannte der grauhaarige Multik munter. »Wie finden Sie den Film?«
    »Ich hab ihn noch nicht gesehen.«
    »Ich auch nicht. Trotzdem. Sagen Sie bloß, Sie haben keine eigene Meinung?«, runzelte der fortschrittliche Sekretär die Stirn. »Das geht doch nicht, junger Mann, in unserer Zeit...«
    »Schwer zu sagen, ich habe den Film ja noch nicht gesehen.« Jegor verstand nicht.
    Da ergriff die schöne fortschrittliche Sekretärin das Wort, sexy in ihre von Ringen glitzernde kleine Faust hüstelnd:
    »Der Regisseur Albert Mamajew gilt mit seinen fünfundvierzig Jahren zu Recht als ein lebender Klassiker der russischen Kino-Avantgarde. Als Nachfolger solcher Traditionsbrecher wie Dsiga Wertow, Panzerkreuzer Potjomkin, ich meine, ich wollte sagen, Eisenstein, Juchananow, Tarkowski. Er ist selbst für Filmextremisten wie Pepetkin und Shistjakow zu hart. Antonin Artaud und Marquis de Sade würden ihn bestimmt loben, aber sie sind tot. Darum wird Mamajew beschimpft.« Während sie diesen Text sprach, blickte die junge Kunstkennerin wie eine Blinde in sich hinein, wo sie aus ihrem kleinen und nicht für derartige Probleme gemachten Gehirn die auswendig gelernten Laufzeilen fremder Buchstaben und hohler Phrasen holte.
    »Mein kluges Mädchen.« Der Multimillionär war gerührt und rief Jegor als Zeugen an. »Na, ist sie nicht ein kluges Mädchen? Sagen Sie schon, sie ist ein kluges Mädchen!«
    »Kluges Mädchen«, sagte Jegor.
    »Dabei, wenn man sie so sieht, eine Blondine eben, aber sobald sie den Mund aufmacht - der reinste Cicero, der reinste Posner! Eine echte Zarathustra, man hört zu und vergisst alles auf der Welt... Meine Zarathustrotschka!«
    Derart kategorisch ermutigt, zwitscherte Zarathustrotschka noch energischer los als zuvor:
    »Bereits der erste Film von Albert Mamajew,
Die Auspeitschung der Kinder
von 1997, löste wütende Angriffe seitens der Kulturträger-Oligarchie, der Kritikermafia und des unwissenden Publikums aus. Selbst die Kirche verurteilte ihn, obwohl das Sujet aus dem Evangelium stammte. Die achtundvierzig Gewaltszenen, die eingehend die Ermordung von Kindern im Alter von null Jahren auf unterschiedliche, auch äußerst brutale und grausame Weise zeigen, fanden selbst hartgesottene Kenner des besonderen Films allzu offen und kühn. Doch der Regisseur parierte: >Wenn ein Low-Budget-Film eure Moral zerstört, dann ist eure Moral keinen Groschen wert, dann ist eure Moral Low-Budget. Mein Film zerstört die Moral nicht, er übt Druck auf sie aus, stampft sie fest, presst, verdichtet und festigt sie auf diese Weise; er erschüttert sie, rüttelt sie auf und setzt sie so in Bewegung .. .<«
    Während sie sprach, bemerkte Jegor auf ihrem wundervollen Gesicht einen kleinen Makel. Bei genauerem Hinsehen entdeckte er, dass auf ihrer bebenden Oberlippe, die verführerisch ihre kostbaren handgefertigten Zähne abwechselnd verdeckte und entblößte, ein verwegen gelocktes graues Schamhaar klebte.
    »Entschuldigen Sie«, unterbrach er ihren Redefluss, »Sie haben ...«
    »Was?«, stockte sie. »Hier ...«, zeigte Jegor.
    »Hier?« Zarathustrotschka wischte sich mit der Hand über den Mund.
    »Weiter rechts«, lenkte Jegor. »Hier? Weg?« »Weiter oben.«
    »Weg?«, fragte die fortschrittliche Sekretärin nervös.
    »Da, da, aber es ist noch nicht weg«, entgegnete Jegor nervös, drauf und dran, das Mistding eigenhändig abzupflücken.
    »Was ist denn da? Sieh doch mal nach, Liebster, hilf mir doch endlich, steh nicht da, als ginge es dich nichts an«, griff die Blondine ihren Sekretär an.
    Der nahm Haltung an, kniff die Augen zusammen, streckte zwei seiner zahlreichen gepflegten, offenkundig erst vor einer halben Stunde frisch manikürten, jugendlich alternden Finger aus und entfernte das freche Haar von der vollen Lippe.
    »Das war's, mein Engel.« Er wollte die Trophäe zurück in seine Hose stecken, doch weit

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