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Nahe Null: [gangsta Fiction]

Nahe Null: [gangsta Fiction]

Titel: Nahe Null: [gangsta Fiction] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathan Dubowitzki
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nicht mehr lebten; wie sich ihr Mund, ihre Augen, ihre Haut, ihr Herz, ihr Gedärm, ihre Arme und Beine verhielten; was Adrenalin und Zucker in ihrem Blut anrichteten; wo sich die Gedanken verkrochen; woraus die selige Ergebenheit gebraut war, die süße, lauwarme komatöse Schwäche, die plötzlich die Agonie beendete und zärtlich das Leben von den nichtssagenden Hügeln und Straßen wusch. Er wusste - das, was mit Plaksa geschehen war, konnte man nicht spielen; keine noch so perverse oder realistische Inszenierung konnte das so genau hinkriegen; in keinem Actionthriller, in keinem Horrorfilm erreichte die Darstellung ein solches Niveau, auch nicht bei noch so kolossalen finanziellen Mitteln in den Händen regieführender Irrer und psychopathischer Ausstatter. Aber außerhalb des Kinos - da war es genauso: So weinten sie, so schrien sie, so wanden sie sich, so verwandelten sie sich in Tiere und wurden weiß, so erstarrten sie. Aus alldem folgte: Plaksa war tatsächlich, ganz real vergewaltigt und ermordet worden; ihre Scham und ihr Tod waren gefilmt worden, ebenso wie die spätere Verbrennung ihres Mörders. Bestätigt wurde seine Ahnung auch dadurch, dass Plaksa nicht zum Chat erschienen war, obwohl sie es versprochen hatte. Sie war nicht aufzufinden.
    Der erschütterte Jegor zog an, was er vom schmutzigen Boden aufgeklaubt hatte und was sich als der zerknitterte Anzug von vor drei Tagen erwies, den er im Klub
Unter uns
getragen hatte, und ging wieder dorthin, um etwas in Erfahrung zu bringen, was, wusste er selbst nicht.
    Das Haus in der Ordynskaja-Straße war inzwischen um eine oder anderthalb Etagen angewachsen, ganz wie es sich für Bürogebäude im stürmischen Wirtschaftsboom gehört. Vor der Tür wurde Jegor von denselben beiden Wachleuten empfangen wie an jenem Abend. Auch sie hatten inzwischen etwas zugelegt, ganz wie es sich für Wachleute im Konsumboom gehört. Doch nun waren die Wachleute grob zu dem unrasierten, zerzausten, un-gebügelten Besucher, zeigten keinerlei Reaktion auf den Namen Jewrobejski und hatten von einem Klub
Unter uns
noch nie gehört; über den dritten Stock äußerten sie sich kurz und abgehackt, dort sitze eine GmbH, erst gestern eingezogen, sie handele mit ADR, solle in eine AG umgewandelt werden, vorher habe dort eine KGaA gesessen, die sei aber pleitegegangen, aber warum interessiert Sie das? Gehen Sie lieber ihrer Wege.
     

28
    Jegor rief Tschernenko an. Chief war noch immer sein Boss, aber sie hatten sich lange nicht gesehen, jeder jagte für sich und teilte die Beute nicht mit dem anderen. Jegor hatte eigentlich gelernt, ohne Chief auszukommen, doch nun war ein Fall eingetreten, bei dem er es doch nicht konnte. So spielen kleine Kinder, in Fahrt geraten, der eine ist Spiderman, der andere der unbesiegbare Bionicle, sie durchqueren alle Meere, springen über Berge, kämpfen gegen Riesen - und besiegen sie; treffen auf Menschenfresser - und schlagen sie; sie vernichten böse Roboter und Vampire; doch dann bleibt Spiderman an einer Sofaecke hängen, fällt bäuchlings auf den Boden, schlägt sich die Nase blutig und fängt an zu weinen, und bei seinem Anblick heult auch Bionicle los; und schon rufen beide nach Papa, nach Mama, obgleich sie noch vor einer Minute vollkommen vergessen hatten, dass sie eine Mama und einen Papa haben, und sich geniert hätten, sich und ihren mächtigen Feinden einzugestehen, dass sie jemanden brauchten, der ihnen die Nase putzte.
    Tschernenko lebte nun in der Wohnung, in der er einst Jegor in die Bruderschaft der Schwarzen Büchermagie aufgenommen hatte.
    Im Laufe der Jahre hatte er mit Hilfe von Geld und Drohungen die Ureinwohner aus dem alten Stalin'schen Baudenkmal vertrieben und besaß nun zwei Drittel der gesamten Fläche. Chiefs Wohnung breitete sich aggressiv und wirr, aber unaufhaltsam in alle Richtungen aus, wie ein reiches, weit verstreutes und schlecht regiertes burgundisches Herzogtum, und war inzwischen zu einem drei-einhalbstöckigen Quasipalast angewachsen, von dem nach allen Seiten Protuberanzen und Appendices abgingen, Exklaven und Enklaven immer neuen dazugekauften und mit Gewalt eroberten Territoriums. Die genauen Ausmaße seines Wohnraums kannten weder Igor Fjodorowitsch noch seine Höflinge oder Juristen. Um viele Teile der Wohnung wurde ständig prozessiert, an ihren Rändern agierten Partisanengruppen nicht restlos ausgesiedelter Bewohner; Dutzende Zimmer waren ungenutzt oder steckten in endlosen Renovierungen; überall

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