Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nahe Null: [gangsta Fiction]

Nahe Null: [gangsta Fiction]

Titel: Nahe Null: [gangsta Fiction] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathan Dubowitzki
Vom Netzwerk:
Außenhandelsbeziehungen. Er plante den Export von Fröschen und Regenwürmern. Die Frösche wollte er nach Frankreich exportieren, wohin die Würmer, wusste er selbst nicht, aber er verhandelte eifrig, ja, besessen und trat zu diesem Zweck in einen lebhaften Schriftwechsel mit transnationalen Giganten. Die an Bürokratismus leidenden Giganten reagierten hartleibig, mochten ihren eigenen Nutzen nicht erkennen, und der Vorsitzende stieg auf Erdöl um. Er bekam von der Staatsbank einen Kredit für die Förderung und engagierte Geologen. Die Geologen soffen ein halbes Jahr durch, doch Bodenschätze fanden sie keine (kein Erdöl, nicht einmal industriell verwertbaren Ton oder wenigstens Heilschlamm gegen Flechten). Der heimatliche Boden barg nur die sattsam bekannten Regenwürmer und irgendwelche alten Knochen. Der dynamische Vorsitzende kroch aus dem Stachelbeergebüsch und brachte die Knochen ins Gebietsmuseum. Die Heimatkundler befanden, dass es sich bei dem Fund tatsächlich um eine altsarmatische oder altbulgarische Tierbegräbnisstätte handele, die Knochen seien in der Tat historisch, doch ohne jeden musealen Wert und daher von null Interesse. Der Vorsitzende trottete vor Kummer ins Kino, rannte mitten im Film entflammt hinaus und zurück in die Stachelbeeren, wild entschlossen, in die Filmindustrie zu investieren.
    Jegor fand seine Quelle verdreckt vor, ja, tot. Solches Wasser wollte er nicht anrühren, und um seinen Durst zu bezwingen, legte er sich in den Schatten großer Kletten und schlief ein. Er erwachte, zitternd vom Abendtau, der auf seine Verbände und Wimpern gefallen war. Drei riesige Bürger etwa in seinem Alter sahen auf ihn herab, und Onkel Kolja zeigte mit dem Finger auf ihn. In der Mitte stand, in Jeans und einer leichten Jacke, ein Mann, der offenbar gut gelebt, viel gegessen und viel getrunken hatte und aussah wie Ryshik. Links und rechts von ihm zwei gleichermaßen wohlgenährte Zwillinge mit identischen Pumpguns. Der linke trug die Uniform eines Milizmajors, der rechte war dem Anschein nach ein mehrfach vorbestrafter Gangsta.
    »Jegor?«, fragte der in der Mitte.
    »Ja«, sagte Jegor, der begriff, dass der Bursche nicht nur aussah wie Ryshik, sondern Ryshik war. »Du bist Ryshik.« »Helft ihm hoch«, befahl Ryshik.
    Die Zwillinge stellten Jegor höflich auf die Füße. Er trat zu Ryshik. Sie umarmten sich vorsichtig, argwöhnisch, denn, einst Freunde gewesen, wussten sie nicht, was sie jetzt füreinander waren, nach so vielen Jahren der Nichtbekanntschaft. Sie stiegen in einen Jeep, fuhren in Ryshiks großes Haus, wuschen Jegor, tranken und aßen.
    »Ich bin damals schon bald nach Moskau abgehauen, an eine Berufsschule. Hab als Kunsttischler in einer Fabrik gearbeitet. Dann kam der Kapitalismus. Ich fing an, mit Möbeln zu handeln, dann mit Häusern und Grundstücken. Aber das Dorf hab ich regelmäßig besucht, meine Mutter war ja noch hier. Es waren nur noch acht Alte übrig geblieben, und auch die wurden im Winter von ihren Verwandten in die Stadt geholt. In einem solchen Winter, als niemand hier war, hat der Kolchosvorsitzende unser Lunino an durchreisende Filmleute verkauft. Sie drehten einen Actionfilm, Tschapajew 3. Sie wollten filmen, wie die Tschapajew-Leute ein Dorf zerstören und bis auf den Grund abfackeln. Von wegen zeitgemäßer Blick auf einen Bürgerkriegshelden. Und unser Dorf wurde zur Verbrauchsrequisite. So heißt das bei denen. Sie haben es niedergebrannt für ihren Film.«
    »Tschapajew? Es gab also auch einen Teil 2 ? Ich kenne nur den ersten, die anderen habe ich nicht gesehen. Nicht mal davon gehört.«
    »Ach, die kennt doch kein Schwein. Ich hab sie auch nicht gesehen. Jedenfalls, ich komme im Frühjahr her, meine Mutter zurückbringen, wir steigen aus dem Jeep, und das Dorf ist weg, nur noch die Ofen stehen, wie in Chatyn. Hätte uns wenigstens einer mitteilen können, die Schweine. Obwohl - wer hätte schreiben sollen? Ringsum sind ja nichts als Friedhöfe. Wir fuhren zum zentralen Gut, aber den Vorsitzenden fanden wir nicht, wir kriegten nur den Agronom in die Finger, den haben wir ordentlich vermöbelt, für nichts und wieder nichts, mein Driver und ich, doch was hatten wir davon? Da habe ich dieses Land gekauft. Zum Pflügen und Säen hab ich ein paar John Deeres und Caterpillars angeschafft, mir Chinesen geholt und sie draufgesetzt, und jetzt ernte ich siebzig Dezitonnen pro Hektar. Unter den Sowjets wurde man für zwanzig Held der sozialistischen Arbeit. So

Weitere Kostenlose Bücher