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Nahe Null: [gangsta Fiction]

Nahe Null: [gangsta Fiction]

Titel: Nahe Null: [gangsta Fiction] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathan Dubowitzki
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sieht's aus!« »Toll.«
    »Und Lunino hab ich vollständig wieder aufgebaut, aber in Miniatur, nur halb so groß. Den Klub, die Häuser, den Laden, die Schuppen, die Bäume - alles, wie es war, nur im Maßstab eins zu zwei. Ich hab Zwerghühner angeschafft, Zwergpferde und Zwergkühe. Und dazu Liliputaner von der Gebietsphilharmonie engagiert, einige hab ich sogar wie Leute aus unserem Dorf geschminkt. Du hast ja gesehen, Onkel Kolja ist fast echt. Schade um das Dorf, aber so ist es billiger. Fürs Geschäft brauche ich Lunino nicht, und für die Nostalgie reicht es auch halb so groß. Für mich selber hab ich nach vorrevolutionären Zeichnungen und Fotos ein Herrenhaus wieder aufbauen lassen. Der Park ist auch bald fertig. Morgen früh kannst du dir meine Lindenallee ansehen. Hundertjährige Linden, aus Deutschland rausgeschmuggelt, du wirst es nicht glauben. Solche stehen nicht mal in Berlin, selbst die in Baden-Baden sind Abfall gegen meine. Im Park ist natürlich alles eins zu eins, Originalgröße.«
    »Für wie viel hat er denn Lunino verscherbelt?«
    »Für hundert Dollar, Jegor, du glaubst es nicht, Mann.«
    »Quatsch.«
    »Ohne Scheiß. Er ist doch unterm alten Regime hochgekommen, ein IQ von minus zwanzig, Dollars hatte er noch nie gesehen, dieser Businessman in Bastschuhen. Er hätte es auch für fünfzig verscheuert oder für fünf. Die hatten bloß keine kleineren Scheine dabei. Jetzt ist er Knecht bei mir, auf der Stachelbeerplantage. Der ist nicht mal ein Trottel, der ist ein Trottelchen, wie sie die Zigeuner auf den Bahnhöfen abziehen.«
     

37
    Endlich kam der aus der Stadt gerufene Rettungswagen. Jegor wurde ausgezogen, die Verbände wurden abgenommen. Es stellte sich heraus, dass an der rechten Hand Ringfinger und kleiner Finger fehlten, an der linken sämtliche Finger. Von den Ohren fand sich trotz gründlicher Untersuchung von Kopf und vorsichtshalber auch Oberkörper und Bauch nur eines. Dort, wo eigentlich das zweite sitzen und hören sollte, verbarg sich unter einem schmutzigen Pflaster nur ein faulendes Loch. Der Rücken war voller Schnittwunden, Bauch und Brust mit Verbrennungen übersät. In den Venen gab es mehrere Einstichstellen.
    »Du bist ja das reinste Stalingrad, kein heiler Fleck mehr.« Ryshik stieß einen Pfiff aus. »Wer hat dich denn so zugerichtet? Und wo? Ich hab gehört, du bist ein großer Mann beim >Schwarzen Buch<. Sehen so eure Streitigkeiten aus? Mit wem? Worum ging's denn?«
    Er engagierte sofort die ganze Mannschaft des Rettungswagens samt Ausrüstung für eine Woche. In der Nacht schickte er zweimal den Fahrer nach Medikamenten in die Stadt, seinen eigenen ins Gebietszentrum. Bereits am Abend des nächsten Tages war das große Gästeschlafzimmer wie das modernste Krankenzimmer eingerichtet und voll mit Pflegerinnen und zwei Konsilien aus medizinischen Leuchten des Gouvernements. Akademiemitglieder aus Moskau waren bereits unterwegs.
    Als Ryshiks Frau und Kinder am Morgen erwachten, erschraken sie über das in Verbände gewickelte Gespenst, das der Vater aus dem Wald mitgebracht hatte, doch zum Abend hatten sie sich daran gewöhnt und Freundschaft mit ihm geschlossen.
    Jegor schlief, aß und fügte sich brav jeder ärztlichen Hilfe. Er war tot, ließ sich das aber nicht anmerken, um die Kinder nicht zu erschrecken und die Professoren nicht zu enttäuschen. Am dritten Tag erwachte er teilweise wieder zum Leben, obgleich er sich unbehaglich fühlte wie ein frisch geschorener Hund. Ryshik kam herein und legte das Twix und das Gadget auf das Nachtschränkchen neben dem Bett. »Das hab ich in deiner Jeans gefunden.« Das Twix ignorierte Jegor, das Gadget aber entpuppte sich als ein ihm unbekanntes Gerät, eine Art iPod mit nur einem einzigen Knopf. Jegor, der inzwischen gelernt hatte, mit drei Fingern auszukommen, schaltete den rätselhaften Apparat ein. Auf dem Display erschien langsam, in roten Buchstaben von unten nach oben aufleuchtend, eine lange Mitteilung:
    »Sie haben womöglich einen Schock, mein Freund. Und erinnern sich nicht, was geschehen ist. Das kommt vor. Das Gedächtnis blockiert, um Unangenehmes zu verbergen, um Scham und Angst nicht nach außen dringen zu lassen. Aber Sie müssen die Wahrheit wissen, mein Freund. Ihnen wurde Finger für Finger abgeschossen. Sie haben gekreischt und geweint. Ihnen wurden Schnitte und Verbrennungen zugefügt. Wenn Sie das Bewusstsein verloren, wurden Sie wieder zurückgeholt und erneut gefoltert. Und wieder haben Sie

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