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Nahe Null: [gangsta Fiction]

Nahe Null: [gangsta Fiction]

Titel: Nahe Null: [gangsta Fiction] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathan Dubowitzki
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weiter, wenn ihm etwas nicht passte. Wenn er einen unguten prophetischen Traum hatte, verschwand er umgehend. Ansonsten blieb er einen Monat oder etwas länger, streifte durch Moskau, ohne sich besonders zu verstecken, aber stets in Eile und ohne sich irgendwo lange aufzuhalten. Er wurde von allen gesehen, war aber zugleich nicht zu fassen. Er suchte Schauspieler und Schauspielerinnen, verhandelte mit Auftraggebern für Filme, drehte im Kaukasus oder in der Abgeschiedenheit Moskauer Industriegebiete, organisierte geschlossene Vorführungen, trieb Unfug und zechte. Er war ganz nah, schon so gut wie gefangen, schon fast tot. Doch je näher Jegor seinem Feind kam, umso rascher entfernte er sich von seinem Traum, ihn zu vernichten.
    Und eines Tages wurde er bei einem einsamen, hastigen Mahl - eine typische Gewohnheit sehr kranker oder sehr unglücklicher Menschen - durch mehrere aufeinanderfolgende Anrufe und Internet-Nachrichten aufgeschreckt. Die Suche hatte ein Ende: Dies waren die letzten Bits notwendiger Informationen. Zusammen ergaben sie ein Bild, genauer gesagt, die Karte seines letzten Gefechts. Er sah genau, wo sich das Wild versteckte, wusste, wie er sich unbemerkt anschleichen und lautlos in die Höhle eindringen konnte. Er kannte die Lage der Zimmer, die Gewohnheiten des Opfers und die Zeit, zu der es schutzlos und zum Abschuss bereit sein würde. Er entschied, welche Pistole er benutzen und wohin er die noch warme Knarre, das qualmende Indiz der kriminellen Befriedigung seines Rachedursts, werfen würde. Er hatte die Worte auswendig gelernt, die Albert als Letztes hören sollte, mit denen er ihn quälen wollte, bis eine barmherzige Kugel das zitternde Geschöpf von Angst und Schmerzen befreien würde.
    Der Weg war frei, die Aufgabe einfach. Und er wusste, dass er nichts tun, dass er nirgendwohin gehen würde. Er aß die kalt gewordenen Penne auf, trank dann bis in die Nacht süßen Tee und sah sich auf Nickelodeon die Abenteuer des Schwammkopfs Bob an. Er war nicht erleuchtet worden, im Gegenteil, er schien noch finsterer als zuvor. Er spürte keine Erleichterung, er spürte überhaupt nichts außer einer Abneigung gegen das Töten, die Unmöglichkeit zu töten, Rache zu üben, sich mit Wut zu vergiften, sich an Zorn und Brutalität zu verbrennen. Er war kein Heiliger geworden, irgendwie war alles ganz von allein zu Ende. Nicht das Gewissen hatte ihn gestoppt und von der Sünde abgehalten, sondern eine plüschweiche, schläfrige Faulheit, die sein überreiztes Gehirn erfasst hatte.
    Die Zukunft verhieß keine Liebe, doch auch Tod war nirgends zu sehen. Niemandes Tod. Auch Mamai lief dort lebendig herum. Rache und Tod fielen aus. Das Gute und das Licht hatten gesiegt.
    Nachdem Jegor bis zum süßen Gähnen über Spongebob gelacht hatte und urplötzlich, wie ein Kind, verstummt war, schlief er ein, zum ersten Mal seit Monaten gefasst und gelassen.
     

46
    Gegen Morgen träumte er von dem namenlosen Gnom, der ihn damals zu dem vor der Apotheke parkenden Auto gebracht hatte, damals, an seinem ersten Tag als Büchermagier, als er in den mit dem Blut von Fjodor Iwanowitsch getränkten Turnschuhen durch Moskau gelaufen war, jung, gesund und gut aussehend. Der Gnom trippelte hinter Jegor her, der über einen menschenleeren Platz in unbekannter Richtung vorwärts lief, blieb zurück, holte ihn ein, überholte ihn, blieb wieder zurück und jammerte:
    »Onkel, lieber Onkel, töten Sie mich nicht, ich tu's nie wieder.«
    »Es ziemt sich nicht für einen Königssohn, mit einem Sponge-bob Schwammkopf zu reden. Oder ihn gar zu töten«, antwortete Jegor.
    »Take you me for a sponge, my lord?«
    Der Gnom war beleidigt. »Genau! Hau ab!«
    »Töten Sie mich nicht, haben Sie Erbarmen!« »Weg!«
    Der Kleine holte ihn ein. »Wie kann ich denn weggehen, bevor ich Sie durch Bitten, Betteln und Flehen dazu bewegt habe, mich nicht zu töten.«
    »Weg.« Jegor lief schneller und spürte plötzlich in seiner verstümmelten Hand das tödliche Gewicht zehnschüssigen Stahls.
    »Töten Sie mich nicht, bitte«, murmelte der Regisseur Mamajew, der auf allen vieren aus Jegors sich auflösendem Alptraum auf die filigrane schmiedeeiserne Treppe eines gigantischen Landhauses kroch. Jegor wachte auf und stellte fest, dass er Mamajew verfolgte und aus der längst bereitgehaltenen Pistole auf seinen Rücken, auf die Seidenunterhose mit den kleinen Lokomotiven und Rollern, auf seine nach hinten gerollten, angstgeweiteten Augen und seinen

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