Nahkampf der Giganten
mit zwei Gläsern balancierend. Das war Moresbys tägliches Morgenritual. Das eine Glas enthielt ein rohes Ei, das andere zur Hälfte Brandy. Bolitho blickte weg, weil ihm jedesmal beinahe übel wurde, wenn der Admiral diese seltsame Mischung hinuntergoß.
Moresby schmatzte mit den Lippen und sagte mürrisch: »Wird ja endlich heller.« Er fuhr so heftig herum, daß die Quaste seiner Nachtmütze in der frischen Brise wie ein Wimpel tanzte. »Wo stecken die verdammten Dons?«
»Die brauchen Stunden, bis sie uns eingeholt haben, Sir.« Bolitho versuchte sich, seinen Eifer nicht anmerken zu lassen. »Vielleicht können wir noch etwas dichter heran? Der Meeresboden fällt hier ziemlich steil ab, bis auf achtzig Faden.«
Der Admiral knurrte: »Sieht ja alles ruhig aus. Vielleicht hatte Don Anduaga doch recht.« Er runzelte die Stirn. »Hoffentlich!« Doch Bolitho blieb hartnäckig. »Ich habe ein komplettes Landkommando eingeteilt, Sir: neunzig Seesoldaten und hundert ausgesuchte Matrosen. Wir könnten die Boote eine Kabellänge vor der Hafeneinfahrt absetzen, ehe die Garnison überhaupt merkt, was geschieht.«
Moresby seufzte. »Nun mal sachte. Mir gefällt die Geschichte genausowenig wie Ihnen, aber Lord Hoods Befehle sind ganz eindeutig: Wir lassen die Dons zuerst landen.« Er schritt zur Kampanje zurück. »Und überhaupt würden Sie ganz schön dumm dastehen, wenn es Ärger gibt und die Spanier erst einen Tag später kommen. Sie haben ja gehört, was der Leutnant über die Verteidigungsanlagen gesagt hat. Die schießen Ihre Männer zusammen, bevor sie überhaupt aus den Booten sind!«
Bolitho erwiderte mit gedämpfter Stimme: »Aber nicht so früh am Morgen, Sir. Auf den Überraschungseffekt kommt es an. Wenn uns die Festungsbesatzung erst gesehen hat, kriegen wir nie wieder eine Chance.«
»Ich ziehe mich jetzt an.« Moresbys Stimme klang gefährlich ruhig. »Mein Gott, Fregattenkapitäne sind doch alle gleich. Keinen Sinn für Verantwortung oder Risiko!«
Bolitho schritt zweimal das Achterdeck auf und ab, um seine Gedanken zu ordnen. Moresby war schon ziemlich alt für seinen Dienstgrad und daher wahrscheinlich übervorsichtig.
Gossett sang aus: »Insel querab, Sir!«! Mit zusammengekniffenen Augen musterte er die gebraßten Rahen.
Bolitho nickte. Die Nervenanspannung hatte ihn unkonzentriert gemacht. Er hatte kaum ernstlich geglaubt, daß Moresby Hoods Befehl ignorieren würde, aber im stillen doch auf so etwas gehofft. Müde sagte er: »Gut, Mr. Gossett, lassen Sie halsen!«
Die
Hyperion
wandte sich gegen die ablandige Dünung und ging pflichtgetreu mit dem Heck durch den Wind; sofort faßten die Segel wieder die leichte Brise, die übers Wasser strich.
»Auf Backbordbug bleiben, Mr. Gossett!« Bolitho vergegenwärtigte sich im Geiste die Seekarte. »Am diesseitigen Landarm der Bucht springt eine lange Felsbarriere ins Meer vor. Vielleicht steht da ein Posten!«
Er dachte an die Kanoniere, an seine Offiziere, die überall im Schiff gespannt warteten. Grinsen würden sie, dachte er bitter, und denken, ihr neuer Kapitän hätte mehr Angst als Umsicht. Alles Exerzieren, alle Vorbereitungen waren umsonst, wenn seine instinktive Vorsicht sich als überflüssig erwies.
Er blickte zum Wimpel empor: er glänzte blaßgolden wie gesponnene Seide. Und als er über den Bug nach vorn spähte, stellte er fest, daß die Kimm als dunkler Streifen sichtbar geworden war: wie schnell die Sonne in diesen Breiten aufgeht, dachte er. Diese Feststellung deprimierte ihn. Mit der Sonne würde die Hitze kommen, der Drang zur Unbeweglichkeit und hilflosen Passivität, so daß das Schiff über seinem Spiegelbild dümpeln und kaum noch Fahrt machen würde.
»An Deck! Zwei Schiffe in Lee voraus!«
»Dann haben die Dons also doch nicht lange geschlafen, Sir«, murmelte Quarme.
»Vielleicht haben sie unserem Admiral nur nicht so recht getraut.« Bolitho starrte auf die glasige Dünung. »Richten Sie Sir William meine Hochachtung aus und melden Sie ihm, daß die Spanier bald eintreffen werden.«
Quarme zögerte. »Soll ich die Männer vom Achterdeck wegtreten lassen?«
»Sie sollen tun, was ich Ihnen sage, weiter nichts!« Bolitho bereute seinen Ausbruch sofort, blieb aber abgewandt an der Reling stehen, während Quarme mit seiner Botschaft hinwegeilte.
Blutrot und böse stieg die Sonne über die scharfe Kimm und malte einen immer breiter werdender Pfad auf die leere Wasserwüste. Dann sah Bolitho die Bramsegel der beiden
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