Nahkampf der Giganten
ihm seine völlig isolierte Lage wieder bewußt. Hätte die weit vor dem Geleitzug operierende
Snipe
die Schiffe in irgendeiner anderen Position gesichtet, hätte er ein bißchen Optimismus aufbringen könne. Aber so – der Feind befand sich direkt in Luv und auf konvergierendem Kurs zu diesem ungünstig zusammengesetzten Konvoi. Der Gegner konnte sich Zeit lassen und sich den passendsten Moment zum Angriff aussuchen.
Er setzte den Dreispitz auf und stieg rasch aufs Achterdeck. Die Brise war noch frisch, doch die Luft schon viel wärmer. Er zwang sich dazu, langsam zur Reling zu schreiten und auf das Oberdeck hinunterzusehen, während doch jeder Nerv in seinem Körper danach schrie, hastig nach einem Teleskop zu greifen und sich den Feind genauer anzusehen.
Unter den Decksgängen warteten schweigend die Geschützbedienungen bei ihren Kanonen. Dort war das Deck mit Sand bestreut, damit die nackten Füßen der Matrosen besseren Halt fanden, wenn der Kampf erst im Gange war: neben jedem Zwölfpfünder stand ein frischgefüllter Wassereimer für den Schwabber oder zum Löschen, falls Planken oder Tauwerk, beide trocken wie Zunder, Feuer fangen sollten. Bei jedem Niedergang hielt ein MarineInfanterist mit aufgepflanztem Bajonett Wache, breitbeinig das leichte Rollen des Schiffes ausgleichend, dessen Pflicht es war, jeden vor Angst kopflosen Matrosen, dem der Kampf an Deck zu heiß wurde, daran zu hindern, daß er nach unten floh.
Endlich nahm Bolitho doch ein Teleskop und richtete es über die Finknetze. Das Sträflingsschiff taumelte massig vor der Linse vorbei, doch dann hatte er das Glas richtig eingestellt und auf einen Punkt dicht unter der Kimm fixiert, direkt auf den Backbordbug des vordersten feindlichen Schiffes. Er brauchte den Kopf nicht zu wenden, sondern wußte auch so, daß die Umstehenden ihn beobachteten. Sie hatten sich die aufkommenden Schiffe schon längst genau angesehen. Jetzt wollten sie wissen, wie er reagierte, und das würde sie entweder zuversichtlich stimmen oder verunsichern. Er biß die Zähne zusammen und versuchte, möglichst ausdruckslos dreinzublicken.
Mit vorsichtigen Bewegungen des Glases glich er das Rollen der
Hyperion
aus und sah die beiden Fregatten. Sie segelten so dicht beieinander und mit dem Bug fast auf sein Glas zu, daß sie tatsächlich wie ein einziges riesiges, sonderbar gebautes Fahrzeug aussahen. Das eine lag etwas voraus, hatte auch mehr Segel gesetzt, und eben entfalteten sich unter seinem Blick auch noch die Bramsegel. Sechsunddreißig Kanonen hatte sie mindestens, und die zweite Fregatte war nicht viel kleiner.
Doch weiter achteraus und auf Steuerbordbug lag ein Linienschiff. Wie die Fregatten fuhr es keine Flagge; aber der Bau des Vorschiffs, der elegante Schwung der Masten waren nicht zu verkennen: ein französischer Zweidecke r, wahrscheinlich aus einem der Mittelmeerstützpunkte ausgelaufen, um Hoods Blockade zu testen. Bolitho senkte das Glas und blickte zu den Transportern hinüber. Da haben die Franzosen gleich zu Anfang einen guten Happen, dachte er grimmig.
»Wir behalten diesen Kurs bei, Mr. Rooke«, sagte er. »Hat keinen Zweck, nach Süden auszuweichen. Der Gegner ist im Vorteil, wenn er in Luv bleibt, und südwärts« –, er lächelte flüchtig –, »liegt nur Afrika, weiter nichts.«
Rooke nickte. »Aye, Sir. Glauben Sie, daß sie angreifen we rden?«
»In spätestens einer Stunde geht’s los, Mr. Rooke. Der Wind könnte abflauen. Ich würde an ihrer Stelle bestimmt angreifen.«
Aus dem, was er im Teleskop gesehen hatte, versuchte er, sich ein Bild von dem französischen Zweidecker zu machen. Er war nur ein bißchen größer als die
Hyperion;
aber, und das schlug stark zu Buche, er würde vermutlich schneller sein, denn er hatte ausgiebig im Hafen gelegen. Dockarbeiter und Takler hatten sich ausführlich mit ihm beschäftigen können.
Er faßte einen Entschluß. »Ruder zwei Strich Backbord. Wir beziehen Position dicht achteraus vom Geleit. Signal an die
Harvester:
›Gehen Sie sofort auf Station in Luv des Führerschiffs‹.«
»Und die
Snipe,
Sir?« fragte Rooke gespannt.
»Die kann wohl ihre gegenwärtige Position beibehalten.« Er stellte sich das Unheil, die totale Zerstörung vor, welche die Breitseite einer Fregatte auf einem so zerbrechlichen Schiffchen anrichten mußte.
»Jetzt ist der Gegner am Zug – und das sehr bald.«
Mit rundgebraßten Rahen kreuzte die
Hyperion
langsam das Kielwasser der anderen Schiffe, während
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