Naios Begierde (Hüter der Elemente) (German Edition)
amüsiertes Lächeln lag auf seinen Lippen.
„Mach doch nicht so ein verschämtes Gesicht. Ich war ja auch mal jung. Und der neue Kollege ist ein verdammt attraktiver Bursche. Ihr seid beide jung. Genießt das Leben. Ich finde ohnehin, dass du dir langsam einen Freund suchen solltest. Ein so hübsches Ding wie du sollte nicht allein sein. Aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Dein kleines Geheimnis ist bei mir gut aufgehoben.“
„Danke“, murmelte Michelle unbehaglich.
„Keine Ursache. Kann ich das Licht wieder ausschalten?“
„Ähem, ja … ja natürlich. Und … und danke noch mal. Ich geh dann jetzt.“
„Gute Nacht, Michelle.“
„Gute Nacht.“
Kapitel 3
M ichelle spazierte am
Strand entlang. Der Mond stand hoch am Himmel und warf ein silbriges Leuchten auf die brodelnden Schaumkronen der hohen Wellen. Der Strand war menschenleer. Kein Wunder. Es war ja mitten in der Nacht, doch sie hatte einfach nicht schlafen können. Immer wieder hatte sie an den Kuss mit Naios im Institut gedacht und das hatte sie unruhig und rastlos werden lassen. Sie stellte sich vor, was passiert wäre, wenn sie den Kuss nicht unterbrochen hätte. Allein bei dem Gedanken daran kribbelte es sie überall und ihre Brustwarzen drängten sich gegen den Stoff ihres engen T-Shirts.
Der Duft des Ozeans prickelte in ihrer Nase und sie atmete tief durch. Wie sie das Meer liebte. Schon als kleines Kind hatte es sie immer wieder hierher gezogen. Manchmal hatte sie stundenlang am Ufer gesessen und auf das Meer hinaus gestarrt. Irgendwie hatte sie das verrückte Gefühl, dass der Ozean ihr wahres zuhause war. Das war natürlich völliger Blödsinn. Sie war ja kein Fisch und außer kurzen Augenblicken, wo sie sich zum Schwimmen in die Fluten warf, hatte das Meer einem Menschen wie ihr keinen Lebensraum zu bieten. Als Kind hatte sie immer gespielt, sie wär eine Meerjungfrau, wie Arielle. Sie fand die Vorstellung aufregend, auf dem Meeresboden zu leben, da hätte sie auch einen Fischschwanz für in Kauf genommen. Wahrscheinlich hatte sie einfach nach etwas gesucht, das ihre zahlreichen Pflegefamilien ihr nicht geben konnten oder wollten. Zuhause. Schon solange sie denken konnte, hatte sie mit diesem Begriff zu aller erst das Meer verbunden.
Michelle blieb stehen und schaute seufzend auf die Wellen, die mit lautem Getöse auf den Strand krachten. Heute war das Meer besonders unruhig, als verstünde es ihre Zerrissenheit. Plötzlich entdeckte sie einen Kopf in den mondbeschienenen Wellen. Jemand war dort im Wasser, und wenn er nicht schon tot war, dann würde er es bald sein. Das Meer war heute Nacht viel zu stark, als dass irgendjemand darin überleben könnte. Mit klopfendem Herzen starrte sie auf die Person. Es musste ein Mann sein, mehr konnte sie nicht ausmachen. Er kam näher, die Wellen trugen ihn näher an den Strand heran. Vielleicht … vielleicht konnte sie ihn retten, wenn er nur noch ein wenig näher kommen würde. Sie wagte sich nicht zu weit in die tosenden Fluten, doch wenn er noch einige Meter dichter herankam, könnte sie ihn vielleicht packen und auf den Strand ziehen. Plötzlich erhob sich der Mann aus den Fluten, als wären die gewaltigen Wellen um ihn herum rein gar nichts.
„Oh. Mein. Gott“, stieß sie ungläubig hervor.
Es war nicht irgendeine Person, die da aus den Fluten heraus stieg und mit anmutigen Bewegungen auf sie zu kam. Es war ihr neuer Kollege. Naios. Kein Zweifel, es war Naios. Bewegungslos, wie eingefroren, stand sie da und starrte auf ihn, als wäre er eine Geistererscheinung. Vielleicht war er das ja auch. Kein normal sterblicher Mensch konnte sich so ungerührt in den gewaltigen Wellen bewegen. Kurz vor ihr hielt er an und streckte die Hand nach ihr aus.
„Komm“, hörte sie ihn locken. „Komm mit mir. Du hast es dir doch schon so lange gewünscht. Komm und folge mir. Lass mich dir meine Welt zeigen.“
Michelle schüttelte ungläubig den Kopf. Das konnte nicht sein Ernst sein. Er konnte nicht das meinen, was sie dachte. Oder? Und wie war es möglich, dass er ihre geheimsten kindlichen Sehnsüchte kannte?
„Ich … ich kann … das geht nicht. Wir … wir ertrinken.“
„Vertraust du mir nicht? Denkst du wirklich, ich würde zulassen, dass dir ein Leid geschieht?“
Seine türkisfarbenen Augen suchten ihren Blick. Sie spürte, wie ihre Zweifel und Argumente der menschlichen Vernunft langsam schwanden. Eine unsichtbare Kraft schien sie unaufhaltsam auf ihn zu zuschieben.
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