Naked - Hemmungslose Spiele (German Edition)
wahr, mit denen in der Dunkelkammer gearbeitet wurde. Alex nieste.
Meine erste Kamera habe ich zum Geburtstag bekommen, als ich drei wurde. Sie war groß und klobig, mit einem Plastikbildschirm, der Bilder von Bauernhoftieren zeigte, wenn man auf den Auslöser drückte. Niemand hatte mir gesagt, dass es keine echten Bilder waren.
Das war für mich unwichtig. Die Bilder, die ich machte, wenn ich durch den kleinen Plastiksucher guckte, brauchten nicht zu existieren, damit ich sie sehen konnte. Ich erinnere mich, wie ich damals mit meinem Großvater über die Dame im langen Kleidredete, die in der Ecke eines Bildes stand. Ich fragte ihn, ob sie ein Engel sei. Für mich waren damals Engel immer Frauen mit Flügeln und einem Heiligenschein aus Lametta oder Babys mit Lendentuch, die Pfeile verschossen, damit die Leute sich verliebten. Die Frau hatte keine Flügel, aber für mich machte allein der Umstand, dass ich sie nur sah, wenn ich durch den Sucher guckte, sie zu etwas Besonderem.
Großvater sah nur den Bauernhof, wenn er durch den Sucher schaute. Bei Großmama oder meinen Eltern und allen anderen, die ich fragte, war es dasselbe. Nach einer Weile, als andere Spielzeuge wieder interessanter wurden, hörte ich auf, zu fragen. Ich vergaß die Dame im Kleid nicht etwa. Ich wuchs nur über sie hinaus.
Es folgten Kameras mit Wegwerfblitzen, die in Sechserpacks geliefert wurden. Kameras, in die ich die Filme einlegen musste und die weitergedreht wurden, und später, als meine Eltern erkannten, wie ernst es mir mit der Fotografie war, kamen Kameras mit besseren Objektiven. Mein Dad schenkte mir seine alte Nikon, zusammen mit dem Originalgurt aus den Siebzigerjahren, der ein orangebraunes Rautenmuster hatte. Meine Weihnachtssocken waren immer vollgestopft mit Filmrollen.
Von dem ersten Geld, das ich bei Foto Folks verdiente, kaufte ich mir eine Nikon D80. Dafür musste ich ein paar Monate aufs Kabelfernsehen verzichten. Die TV-Serien hatte ich nicht vermisst, aber die Kamera benutze ich noch heute, fast jeden Tag. Ich finde, das war ein guter Tausch.
„Olivia. Hallo.“ Lyle Cullen strahlte mich an, als er aus dem Hinterzimmer kam. Er stützte seine knubbligen Hände auf eine Glasvitrine, in der diverse Kameras auf weichem blauen Samt ruhten. „Wen hast du denn da mitgebracht?“
„Alex Kennedy.“ Die Männer schüttelten einander die Hände.
„Sind Sie auf der Suche nach einer Kamera, Alex?“
„Ja, Sir, das bin ich.“
Lyles Grinsen wurde noch breiter. „Gut, gut. Ich zeige Ihnen mal ein paar hübsche Modelle. Erzählen Sie mir, was Sie damit vorhaben, und wir schauen, was ich für Sie tun kann.“
Alex folgte ihm zu dem Schrank am anderen Ende des Ladens, und ich hörte mit einem Ohr zu, während Lyle versuchte, herauszufinden, wonach Alex genau suchte. Meine Aufmerksamkeit wurde aber vor allem von der Nikon D3 gefesselt, die in einem kleinen Glaskasten lag und wie ein Juwel in einer Krone funkelte und mich lockte. Die Kamera war für mich übrigens tatsächlich ein Juwel. Für den Preis hätte sie auch ein edler Rubin oder ein Diamant sein können, und es war ziemlich unwahrscheinlich, dass ich sie mir jemals würde leisten können. Ich starrte das Teil sehnsüchtig an und versuchte vergebens, mir einzureden, dass die D3 auch keine besseren Fotos machen würde als meine eigenen Kameras. Außerdem hätte ich so viel Angst davor, sie kaputt zu machen oder zu verlieren, dass ich sie sowieso nie aus der Verpackung nehmen würde.
Leider war ich noch nie besonders gut darin gewesen, mir einzureden, dass ich etwas nicht wollte, wenn ich es eigentlich doch wollte.
„Olivia? Was hältst du von der hier?“ Alex hielt eine einfache Schnappschusskamera hoch. „Sie ist wasserfest und macht auch Videos.“
Wenn Lyle sie vorgeschlagen hatte, war die Kamera für den Käufer eine gute Wahl. Lyle versuchte nie, seinen Kunden etwas Teureres zu verkaufen, als sie brauchten. Ich nickte und ging zu ihm, um mir die Kamera genauer anzuschauen.
„Die ist klasse.“
„Mr Cullen sagt, sie ist gut geeignet, wenn man am Strand oder beim Skifahren Fotos machen will“, sagte Alex und hielt die Kamera hoch, um auf den kleinen Bildschirm zu schauen. „Lächeln!“
Ich bin es eher gewohnt, auf der anderen Seite der Linse zu sein, aber das hieß nicht, dass ich nicht wusste, wie man sich inPose setzte. Ich legte einen Finger unters Kinn und strahlte ihn an. Er lachte und zeigte mir das Bild. Es war gar nicht mal so
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