Namibische Nächte (German Edition)
spielen können.
Wie hatten ihre Freundinnen sie beneidet. Ihre Blicke waren Kian gefolgt, wenn er mit Vanessa den Raum betrat. Jede von ihnen hätte ihn ihr am liebsten ausgespannt. Aber Kian hatte nie Augen für sie gehabt. Er war zu allen freundlich gewesen, aber wenn sie ihn dann hingerissen anhimmelten, hatte sein Blick den von Vanessa gesucht, und es lag nicht nur Zärtlichkeit darin, sondern Liebe.
Zumindest hatte sie es so interpretiert. Gesagt hatte er es ihr nie. Sie hatte sich so gewünscht, dass er es einmal sagen würde, aber er tat es nicht.
Doch sie wusste es. Sie wusste es ganz genau. Kein Mann konnte so liebevoll sein, so charmant, so immer für sie da, wenn sie ihn brauchte, wenn er sie nicht liebte.
Wann hatte sich das alles geändert? Plötzlich hatten sie sich gestritten. Isolde war immer öfter dabei gewesen, wenn sie etwas unternahmen.
Ja, Isolde . . . Sie lehnte sich gegen die Seitenwand der Ambulanz zurück. Sie waren so glücklich gewesen, bevor sie kam. Sie hatte alles durcheinander gebracht. Sie hatte Kian durcheinander gebracht. Plötzlich schaute er Vanessa an, als wäre sie ihm fremd. Er lachte mit Isolde, nicht mehr mit Vanessa.
Was Isolde für ihn bedeutete, konnte Vanessa nicht nachvollziehen. Es hatte mit Namibia zu tun. Namibia, das Land, das sie nicht kannte. Das Land, in dem Kian und Isolde aufgewachsen waren und das alle ihre Sehnsüchte in sich trug.
Vanessa hatte diese Sehnsucht nicht empfunden. Sie war ausgeschlossen gewesen von dieser Gemeinschaft der Seligen. Namibia musste das reine Paradies sein, so wie Isolde und Kian es beschrieben.
Sie schaute hinaus. Das Paradies wurde oft mit blauem Wasser und weißem Strand gleichgesetzt, mit Palmen, die im Wind schaukelten, Menschen, die lässig in Hängematten lagen, lachenden, schwarzen Gesichtern, die keinen Stress zu kennen schienen, für die Zeit bedeutungslos erschien, weil das Paradies alles bot, was man sich wünschen konnte, ohne dass man viel dafür tun musste.
Nun ja, Palmen gab es hier auch – zumindest hatte sie in Windhoek welche gesehen, hier auf der Farm nicht –, aber ansonsten war das hier eine völlig andere Art von Paradies. Trocken und staubig. Sand überall, aber kein Strand. Wilde Tiere, die Menschen anfielen.
Diese Löwin hatte nur ihre Jungen verteidigt, aber Löwe blieb Löwe. In freier Wildbahn. Nicht durch Zäune von den Besuchern getrennt wie im Zoo.
Sie atmete tief durch. Und trotzdem hatte sie schon bei ihrer Ankunft etwas empfunden, das sie nie erwartet hätte. Sie sah die Landschaft an sich vorbeiziehen wie auf ihrer Fahrt vom Flughafen hierher, aber etwas hatte sich verändert. Sie war erst seit ein paar Tagen in diesem Land, doch es erschien ihr so viel weniger fremd. Sie sah Giraffen, Warzenschweine, Paviane, Antilopen, eine Gruppe Strauße in einiger Entfernung – selbstverständlich. So musste es sein. Das war normal.
Wie konnte so etwas in so wenigen Tagen geschehen? Ihr Blick kehrte zu Kian zurück. Unter seinen Augenlidern zuckte es. Vielleicht erlebte er den Angriff der Wilderer wieder. Vielleicht war es auch der Angriff der Löwin. Oder viele andere Angriffe, von denen er ihr nichts erzählt hatte.
Weil er blond war, weil er Deutsch sprach, weil er in Deutschland bemüht gewesen war, sich an die Gegebenheiten anzupassen, war sie davon ausgegangen, dass er in gewisser Weise genauso war wie alle anderen. Er war eben in einem anderen Land aufgewachsen, na und?
Aber sie hatte nie begriffen, dass es nicht nur das war. Kian war wirklich wie Tarzan: Er konnte einen Anzug tragen und eine Krawatte, sich zivilisiert benehmen und in einer Stadt wohnen – aber er gehörte nicht dorthin. Er konnte nicht atmen in einer Welt, die so überfüllt mit Menschen war, in der er nicht durch die Savanne streifen konnte, mit N!xau am Feuer Geschichten austauschen, Löwenjunge retten oder auf Wilderer schießen. Er wäre in Deutschland erstickt.
Sie lehnte sich gegen die Bank zurück und schloss die Augen. Sie sah Kian vor sich, wie er damals gewesen war und jetzt hier, und sie wusste, dass nur eins davon für ihn das wahre Leben sein konnte. Ein Mann wie Kaunadodo hätte sich in Deutschland wahrscheinlich wesentlich besser zurechtgefunden, auch wenn er durch seine dunkle Hautfarbe mehr aufgefallen wäre.
Eine Weile noch fuhren sie über die Schotterpiste, dann bogen sie auf die Teerstraße ein, und nun rollte der Krankenwagen ruhiger dahin. Vanessa fühlte, wie auch ihre Augenlider schwer
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