Namibische Nächte (German Edition)
fragte sie.
»Sie sagt, die Geister holen mich auch. Weil ich krank bin. Wie meine Mutter.«
Vanessa hielt Tuhafeni etwas von sich weg und schaute sie an. Die dunkle Haut ließ keine Beurteilung zu, ob sie krank aussah. Vanessa hatte keinen Vergleich. »Dann wäre es vielleicht gut, wenn du zum Arzt gehst«, sagte sie.
»Großmutter sagt, ich bin nicht krank.«
Vaandas Heilkräfte waren zwar beeindruckend, aber Vanessa wusste nicht, ob sie so weit gingen, Krankheiten zu beurteilen, die äußerlich nicht sichtbar waren.
Sie nahm Tuhafeni auf den Arm und ging ins Haus hinein. Als sie Isolde nicht sah, fragte sie nach ihr. Offenbar war sie auf der Farm unterwegs.
»Der Baas ist im Schuppen«, fügte eine ältere Angestellte hinzu, während sie Tuhafeni misstrauisch betrachtete. Aber in Vanessas Gegenwart wagte sie wohl nicht, sie zu vertreiben.
Vanessa nickte. »Dort, wo die ganzen Wagen stehen?«
Die Angestellte bestätigte es ihr, und Vanessa ging zögernd hinaus. Vielleicht sollte sie auf Isolde warten. Sie verstand offensichtlich etwas von Medizin, sonst hätte Kian sie nicht geholt, um Vanessas Sonnenstich zu behandeln.
Gleichzeitig wünschte sie sich nichts so sehr, wie Kian zu sehen. Ohne Isolde.
Kurzentschlossen marschierte sie mit Tuhafeni auf dem Arm in den Schuppen hinüber.
Kian stand mit zwei Farmarbeitern in grünen Arbeitsanzügen hinter einem der Wagen mit aufgeschweißten Bänken, der für die Game Drives verwendet wurde. Er sah sie nicht, als sie hereinkam, und Vanessa betrachtete ihn kurz. Zwar trug er immer noch den Arm in der Schlinge, aber sonst unterschied ihn nichts von dem Kian, der er vor der Verletzung gewesen war. Er ignorierte einfach, wie nah die Kugel an seinem Herzen vorbeigeschossen war. So leicht ließ er sich nicht unterkriegen. Seine Stärke und Kraft umgaben ihn wie ein Schutzschild.
Sie atmete tief durch. »Kian?«
Er blickte auf, aber er lächelte nicht. Er sah eher abweisend aus, wie in den ersten Tagen. »Ja?« Es klang nicht wie eine Einladung.
»Hast du mal eine Minute Zeit?«
Er sagte etwas zu seinen Arbeitern und kam zu ihr herüber. »Was ist?« Immer noch schaute er praktisch durch sie hindurch.
Ihr wurde kalt. Was war geschehen? Gestern war er noch ganz anders gewesen. Obwohl sie am liebsten weggelaufen wäre, räusperte sie sich und fragte: »Ist Tuhafeni krank?«
»Wieso?« Er warf einen Blick auf Tuhafeni und sagte etwas zu ihr, das Vanessa nicht verstand.
Tuhafeni schüttelte mit weit geöffneten dunklen Augen den Kopf.
»Sie sagt, sie ist nicht krank«, wandte er sich wieder an Vanessa.
»Ja, das hat sie mir auch gesagt.« Vanessa nickte. »Aber die Lehrerin hat sie nach Hause geschickt, weil sie angeblich krank wäre. Ich wollte Isolde fragen, aber sie ist nicht im Haus.«
»Sie ist nicht krank«, sagte Kian. »Ihre Mutter ist an AIDS gestorben, und die anderen haben Angst, dass sie auch AIDS haben könnte. Sie schließen AIDS-Kranke aus der Gemeinschaft aus und lassen sie einfach sterben. Sie halten es für einen Fluch der Geister.«
»Aber es gibt doch Medikamente«, bemerkte Vanessa entsetzt.
»In Europa.« Kians Augenbrauen verdichteten sich zu einer düsteren Wolke. »Hier ist es sehr schwierig, Medikamente zu bekommen, besonders auf dem Land. Und wenn man sie bekommt, sind sie meistens nicht so wirksam. Was in Europa keiner mehr haben will, wird nach Afrika geschickt. Und die Medikamente aus Südafrika sind sowieso nichts wert.«
»Das wusste ich nicht.« Vanessa war erschüttert. In Deutschland schien AIDS nur noch eine böse Erinnerung zu sein.
»Diese Lehrerin . . .« Kian presste die Lippen zusammen. »Isolde hat ihr schon ein paar Mal gesagt, dass sie das nicht tun soll. Aber Lehrer kann man hier schon werden, wenn man lesen und schreiben kann. Das vertreibt die alten Vorstellungen von Geistern und Dämonen nicht.«
»Das heißt, Tuhafeni kann jetzt nicht mehr zur Schule gehen?«, fragte Vanessa. Wie konnte so etwas sein? Sie konnte es nicht glauben.
»Das heißt, dass ich der Lehrerin jetzt mal Bescheid stoße«, erwiderte Kian grimmig. »Schließlich ist das unsere Farmschule hier. Und Tuhafeni ist eins der Farmkinder. Sie hat sie gefälligst zu unterrichten. Dafür wird sie bezahlt.« Er stampfte wie ein Elefantenbulle auf dem Kriegspfad hinaus.
Vanessa war so überrascht von seiner Reaktion, dass sie erst mit Verzögerung folgte. Da saß er schon im Land Rover. Er streckte den Arm aus und sagte etwas zu Tuhafeni.
Tuhafeni
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