Namibische Nächte (German Edition)
setzte sich auf den Boden. Die anderen Kinder rückten von ihr ab, bis ein großer, leerer Kreis um sie herum entstand.
Selbst wenn Tuhafeni hier blieb, fand Vanessa es sehr zweifelhaft, dass sie Gelegenheit hatte, etwas zu lernen.
»Das kann doch nicht der Weisheit letzter Schluss sein«, sagte sie. »Sie sieht aus, als würden sie sie schlagen.«
»Wir können nicht immer überall sein«, erwiderte Kian. »Und ich kann sie nicht ständig mit irgendwelchen Strafen bedrohen. Ich bin ja schließlich kein Sklavenhalter. Sie sind freie Menschen und können tun, was sie wollen. Ich kann nur versuchen, ein wenig Einfluss zu nehmen. Das habe ich getan.« Er warf noch einen warnenden Blick auf die Lehrerin und ging hinaus.
Vanessa wäre am liebsten hiergeblieben, aber das hatte wohl keinen Sinn. Sie folgte Kian, der im Wagen auf sie wartete.
Kian wendete und wollte losfahren, da sprang plötzlich ein Schatten hinten auf die Ladefläche. Aber diesmal war es keine Antilope. Es war Tuhafeni.
Kian hielt an und wandte sich um, sagte etwas zu ihr. Sie hockte jedoch nur in der Ecke und antwortete nicht.
Als Kian aussteigen wollte, hielt Vanessa ihn zurück. »Lass sie mitkommen. Sie wird sowieso nicht viel verpassen.«
»Ich weiß nicht, ob die Lehrerin sie wieder aufnimmt, wenn sie jetzt weggeht«, sagte Kian. »Sie sollte besser hierbleiben.«
»Sie kann morgen wieder zur Schule gehen«, beschloss Vanessa. »Denkst du nicht, dass es besser für sie ist, wenn sie jetzt erst einmal Ruhe hat?«
Er hob die Augenbrauen, als wenn er dem nicht zustimmen würde, legte aber den Gang ein und fuhr zum Farmhaus zurück.
»Habe ich dir irgendetwas getan?«, fragte sie, als er während der Rückfahrt kein Wort mit ihr sprach.
Er wandte kurz den Kopf, schaute sie mit demselben grimmigen Ausdruck an wie zuvor die Lehrerin und blickte dann wieder nach vorn. »Hast du gut geschlafen?«, fragte er.
»Ja, sehr gut. Ich war sehr –« Sie brach ab. Auf einmal wusste sie, wovon er sprach. Obwohl sie ihn nicht beim Abendessen gesehen hatte – er aß nie mit den Gästen –, musste er sie gesehen haben. Sie und Steffen. Steffen, der ständig seine Hände irgendwo auf Vanessa hatte, sich zu ihr beugte, versuchte, sie zu küssen.
Und natürlich nahm er an, dass sie heute Nacht mit Steffen – Sie wurde wütend. Wie konnte er das annehmen? Und außerdem: Was hatte er heute Nacht getan? Mit Isolde geschlafen und das nächste Kind in Auftrag gegeben?
»Du wirst wohl kaum behaupten, dass du ihn nicht kennst – wie du es von Kretschmer behauptet hast«, fuhr er fort.
»Behauptet?« Vanessa starrte ihn an. »Du denkst wirklich, ich hatte was mit diesem widerlichen Kerl? Und gleichzeitig auch mit Steffen?«
»Sah jedenfalls so aus«, sagte er. »Er konnte nicht die Finger von dir lassen.«
Sie hätte einfach sagen können, dass Steffen keine Rolle mehr spielte, dass sie ihn jederzeit gegen Kian eintauschen würde, dass er der einzige war, den sie wollte – aber nicht haben konnte, weil er schon verheiratet war und Vater. Aber das konnte sie nicht. »Wir kennen uns schon eine Weile«, sagte sie stattdessen.
»Das sieht man.« Kians Kiefer mahlten.
»Du bist eifersüchtig?«, fragte sie. »Ausgerechnet du?« Sie war froh, dass Tuhafeni hinten auf der Ladefläche saß und das alles nicht mitbekam.
»Ja, ich weiß, ich habe kein Recht –« Er schaute sie an, und jetzt lag etwas anderes in seinen Augen als Grimm. »Du hättest nicht kommen sollen.«
Sie konnte die Qual in seiner Stimme nicht mehr ertragen. »Ich bin froh, dass ich gekommen bin«, sagte sie schmerzlich lächelnd. »So konnten wir uns aussprechen. So können wir als Freunde scheiden. In Gedanken an all das Schöne, das wir hatten.«
Er sagte nichts mehr dazu, bis sie am Farmhaus ausstiegen. »Und was willst du jetzt mit Tuhafeni machen?«
»Oh, ich glaube, da finden wir schon was. Nicht, Tuhafeni?« Vanessa hob Tuhafeni von der Ladefläche und lächelte sie an.
Er nickte. »Ich habe zu tun.« Mit seinen langen Schritten ging er in Richtung des Schuppens davon.
Vanessa schaute ihm nach und fühlte, wie sich Tränen in ihre Augen stahlen.
Warum war er nur nach Deutschland gekommen?
Hätte er das nicht getan, hätte sie ihn nie kennengelernt und würde ihn jetzt nicht so vermissen.
21
N och nie waren ihm zwei Wochen so lang vorgekommen – und gleichzeitig so kurz. Jeder Tag, der verging, war ein Tag weniger mit Vanessa – und die Tage waren gezählt.
Als sie mit ihm
Weitere Kostenlose Bücher