Naokos Laecheln
verloren?
»Watanabe und ich ähneln uns darin, daß es uns völlig egal ist, ob uns jemand versteht oder nicht«, dröhnte Nagasawa gerade. »Darin unterscheiden wir uns grundlegend von allen anderen. Die kennen kein größeres Glück, als von ihrer Umgebung verstanden zu werden. Aber Watanabe und ich pfeifen darauf. Ich bin ich, und andere sind andere.«
»Stimmt das?« fragte mich Hatsumi.
»Nicht die Spur. So souverän bin ich nicht. Natürlich wünsche ich mir, von bestimmten Menschen verstanden zu werden. Andererseits bin ich überzeugt, daß nur wenige mich verstehen können, und die nur bis zu einem gewissen Grad, aber Nagasawas Ansicht, daß es keine Rolle spielt, kann ich nicht teilen.«
»Ach, das ist doch gehüpft wie gesprungen.« Nagasawa nahm seinen Kaffeelöffel in die Hand. »Wir meinen faktisch das gleiche. Der Unterschied ist so groß wie der zwischen einem späten Frühstück und einem frühen Mittagessen. Die Zeit ist die gleiche, nur nennt man die Mahlzeit anders.«
»Ist es dir auch egal, ob ich dich verstehe oder nicht?« fragte Hatsumi ihn.
»Du ziehst die falschen Schlüsse. Jemand versteht einen anderen, weil der Moment der richtige ist und nicht, weil der andere sich wünscht, verstanden zu werden.«
»Also mache ich einen Fehler, wenn ich mir wünsche, von jemandem – zum Beispiel von dir – verstanden zu werden?«
»Nicht gerade einen Fehler«, antwortete Nagasawa. »Durchschnittliche Menschen würden dein Bedürfnis, mich zu verstehen und von mir verstanden zu werden, Liebe nennen. Mein Lebenssystem unterscheidet sich aber sehr klar von dem eines Durchschnittsmenschen.«
»Das heißt, du liebst mich nicht?«
»Nun, mein System und deines…«
»Ach, laß mich doch in Ruhe mit deinem System«, schrie Hatsumi. Das war das erste und letzte Mal, daß ich sie schreien hörte.
Nagasawa drückte den Klingelknopf neben dem Tisch, und ein Ober brachte die Rechnung, worauf Nagasawa ihm seine Kreditkarte gab.
»Wir haben einen schlechten Tag erwischt«, sagte er. »Ich bringe Hatsumi heim und überlasse dich dir selbst.«
»Kein Problem. Das Essen war vorzüglich«, entgegnete ich, wieder antwortete niemand.
Als der Ober die Karte zurückbrachte, warf Nagasawa einen Blick auf den Betrag und unterschrieb mit einem Kugelschreiber. Wir standen auf und gingen hinaus. Nagasawa trat auf die Straße, um ein Taxi anzuhalten, aber Hatsumi hielt ihn zurück.
»Danke, aber ich möchte heute nicht mehr mit dir zusammen sein. Du brauchst mich nicht nach Hause zu bringen. Vielen Dank für das Abendessen.«
»Wie du willst«, sagte Nagasawa.
»Ich möchte, daß Tōru mich nach Hause bringt.«
»Wie du willst«, wiederholte Nagasawa. »Aber Watanabe ist genau wie ich. Ein netter Mensch, der aber im Grunde seines Herzens nicht lieben kann. Irgendwo in seinem Innern ist er immer auf der Hut, und auch er hat diesen unstillbaren Durst in sich. Ich weiß, wovon ich rede.«
Ich winkte ein Taxi heran und ließ Hatsumi als erste einsteigen. Ich brächte sie sicher nach Hause, sagte ich zu Nagasawa.
»Tut mir leid«, entschuldigte er sich, aber es war deutlich zu sehen, daß er in Gedanken schon wieder mit etwas ganz anderem beschäftigt war.
»Wohin fahren wir? Nach Ebisu?« fragte ich Hatsumi. Ihr Apartment lag in Ebisu. Sie schüttelte den Kopf.
»Sollen wir noch irgendwo etwas trinken?«
Sie nickte. »Ja.«
»Nach Shibuya«, sagte ich dem Fahrer.
Mit verschränkten Armen und geschlossenen Augen kuschelte sich Hatsumi in ihre Ecke der Rückbank. Ihre kleinen goldenen Ohrringe blitzten auf, wenn das Taxi schaukelte, und ihr mitternachtsblaues Kleid schien wie geschaffen für das Halbdunkel und das Wechselspiel von Licht und Schatten im Wagen. Ihre schönen, pastellfarben geschminkten Lippen bebten von Zeit zu Zeit, als hätte sie beinahe laut mit sich selbst gesprochen. Als ich sie so ansah, wußte ich, warum Nagasawa sie zu seiner besonderen Gefährtin auserkoren hatte. Bestimmt gab es hübschere Frauen als Hatsumi, und Nagasawa konnte die meisten davon haben. Aber Hatsumi hatte etwas an sich, das einen innerlich erbeben ließ. Diese Kraft, die von ihr ausging, bedrängte einen nicht. Es war eine unaufdringliche Kraft, die etwas im Herzen anderer Menschen in Schwingung versetzte. Während der ganzen Fahrt nach Shibuya beobachtete ich sie, um zu erforschen, woher die emotionale Resonanz rührte, die sie in meinem Herzen auslöste, doch ich fand keine Antwort.
Es wurde mir erst zwölf oder
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