Naokos Laecheln
und wieder mit meinem Alltagsleben beginnen.
Ich möchte Dich auf keinen Fall zu einem Entschluß drängen, aber der Frühling scheint mir die geeignete Jahreszeit für einen Neuanfang zu sein. Am besten wäre es, wenn wir im April zusammenziehen würden, dann könntest Du, wenn alles gut geht, Dein Studium wiederaufnehmen. Wenn das Zusammenleben für Dich ein Pro blem darstellt, könnte ich auch in der Nähe eine Wohnung für Dich suchen. Das Wichtigste ist, daß wir immer zusammen sein können. Natürlich muß es auch nicht unbedingt im Frühling sein. Wenn Dir der Sommer lieber wäre, ist mir das auch recht. Kein Problem. Aber Du schreibst mir doch, was Du dazu meinst?
Ich habe vor, ab jetzt etwas mehr zu arbeiten, um die Umzugskosten wieder reinzuholen. Wenn man einen Hausstand gründet, braucht man ein bißchen Geld, um Töpfe, Geschirr und so was zu kaufen. Aber im März nehme ich mir auf alle Fälle frei, um Dich zu besuchen. Schreib mir, wann es Dir am besten passen würde.
Ich freue mich darauf. Dich zu sehen, und erwarte Deine Antwort.«
Während der nächsten Tage kaufte ich mir alles Nötige im Zentrum von Kichijōji und begann, mir einfache Mahlzeiten zu Hause zu kochen. Ich erwarb ein paar Bretter bei einem Holzhändler in der Nähe, ließ sie zuschneiden und baute mir einen Schreibtisch, an dem ich arbeiten, aber auch essen konnte. Ich zimmerte auch ein Küchenregal und kaufte allerlei Gewürze. Inzwischen hatte sich eine weiße, etwa sechs Monate alte Katze entschlossen, ihre Mahlzeiten bei mir einzunehmen, und ich gab ihr den Namen Möwe.
Als ich mich einigermaßen eingerichtet hatte, ging ich in die Stadt und fand für zwei Wochen einen Job als Malergehilfe. Die Bezahlung war zwar gut, aber meine neue Tätigkeit fiel mir wegen der Farbdämpfe, von denen mir öfter schwindlig wurde, nicht gerade leicht. Nach der Arbeit aß ich in einem preisgünstigen Lokal zu Abend, trank ein Bier, ging nach Hause, spielte mit der Katze und schlief wie tot. Die zwei Wochen vergingen, ohne daß ich eine Antwort von Naoko erhielt.
Ich war mitten beim Anstreichen, als mir plötzlich Midori einfiel und daß ich mich schon seit drei Wochen nicht bei ihr gemeldet, ihr nicht einmal meinen Umzug mitgeteilt hatte. Das letzte Mal hatte ich ihr nur erzählt, daß ich allmählich ausziehen wollte.
Von einem Telefonhäuschen aus rief ich bei ihr an. Eine Frau – vermutlich ihre Schwester – hob ab. Als ich meinen Namen nannte, bat sie mich einen Augenblick zu warten, aber Midori kam nicht ans Telefon.
»Es tut mir leid«, sagte die mutmaßliche Schwester. »Aber Midori ist zu sauer. Sie möchte nicht mit Ihnen sprechen. Sie sind einfach umgezogen, ohne ihr Bescheid zu sagen, sang- und klanglos verschwunden sind Sie, stimmt’s? Darüber ist sie sehr böse. Und wenn sie einmal sauer ist, bleibt sie es auch. Wie ein Tier.«
»Können Sie sie nicht doch ans Telefon holen? Ich kann ihr alles erklären.«
»Sie will keine Erklärungen hören.«
»Darf ich es Ihnen dann vielleicht erklären? Und Sie richten es Midori aus?«
»Kommt nicht in Frage«, sagte die mutmaßliche Schwester. »Das können Sie ihr selbst erklären. Sie sind doch ein Mann, oder? Also stehen Sie gefälligst zu Ihrer Verantwortung.«
Da war nichts zu machen. Ich bedankte mich und legte auf. Ich konnte es Midori nicht übelnehmen, daß sie sauer war. Völlig mit Umzug, Einrichten und Geldverdienen beschäftigt, hatte ich überhaupt nicht mehr an sie gedacht. Selbst an Naoko hatte ich kaum gedacht. Es passierte mir öfter, daß, wenn ich mit einer Sache beschäftigt war, der Rest der Welt zur Bedeutungslosigkeit zusammenschrumpfte.
Als ich mir aber dann vorstellte, wie ich mich im umgekehrten Fall gefühlt hätte, wenn Midori einfach umgezogen wäre, ohne mir zu sagen, wo ich sie erreichen konnte, und sich drei Wochen nicht gemeldet hätte, verstand ich die Kränkung, die ich ihr zugefügt hatte. Wir waren zwar kein Liebespaar, aber wir hatten einander vielleicht sogar intimere Dinge anvertraut, als Liebende es für gewöhnlich tun. Dieser Gedanke war niederschmetternd für mich: wie abscheulich, jemanden zu verletzen, den man gerne hat, und das auch noch auf so gedankenlose Weise.
Gleich als ich von der Arbeit nach Hause kam, setzte ich mich an den Schreibtisch und schrieb Midori ganz ehrlich, was ich empfand. Ohne Ausreden und Erklärungen bat ich sie für mein gedankenloses Verhalten um Verzeihung. »Ich würde Dich so gern sehen und Dir mein
Weitere Kostenlose Bücher