Naokos Laecheln
neues Haus zeigen. Bitte gib mir Antwort«, schrieb ich und schickte den Brief per Eilzustellung ab.
Doch es kam keine Antwort.
Dies war der Beginn eines seltsamen Frühlings. Ich verbrachte meine Ferien damit, auf Briefe zu warten. Zu verreisen oder zu meinen Eltern zu fahren schied aus, einen Job konnte ich auch nicht annehmen, denn es konnte ja jederzeit ein Brief von Naoko eintreffen, in dem sie mir schrieb, wann ich sie besuchen sollte. Meine Nachmittage verbrachte ich damit, durch die Einkaufsstraßen von Kichijōji zu streifen, mir eine Doppelvorstellung im Kino anzusehen oder in einem Jazzcafé zu lesen. Weder traf ich mich mit jemandem noch sprach ich mit jemandem. Einmal in der Woche schrieb ich an Naoko, doch nie erwähnte ich, daß ich auf eine Antwort von ihr wartete, da ich sie auf keinen Fall unter Druck setzen durfte. Also schrieb ich ihr von meiner Arbeit als Anstreicher, von Möwe, von den Pfirsichblüten im Garten, von der netten alten Dame aus dem Tōfu-Laden, von der garstigen alten Dame im Gasthaus und von den Gerichten, die ich mir selber zubereitete. Aber Naoko schrieb nie zurück.
Wenn ich keine Lust hatte, zu lesen oder Schallplatten zu hören, widmete ich mich ein bißchen dem Garten. Von meinem Vermieter lieh ich mir einen Rechen, einen Besen und eine Gartenschere, jätete Unkraut und stutzte die Sträucher. Nach ein wenig Arbeit sah der Garten ganz passabel aus, und der Hausbesitzer bat mich auf einen Tee zu sich herüber, den wir auf der Veranda des Haupthauses zu uns nahmen. Dazu aßen wir Reiskräcker und plauderten. Er erzählte mir, daß er nach seiner Pensionierung bei einer Versicherung angefangen, aber dort schon nach zwei Jahren aufgehört hatte und nun ganz im Ruhestand war. Da das Haus und das Grundstück alter Familienbesitz und seine Kinder selbständig seien, könne er sich ein geruhsames Alter ohne Arbeit leisten und häufig mit seiner Frau verreisen.
»Wie schön für Sie«, sagte ich.
»Nein, gar nicht«, entgegnete er. »Ich habe kein Interesse am Reisen. Viel lieber würde ich arbeiten.«
Sie hatten den Garten verwildern lassen, weil es in der Gegend keinen guten Gärtner gab und er selbst so stark zu Heuschnupfen neigte, daß er sich den Garten nicht selbst vornehmen konnte.
Als wir unseren Tee getrunken hatten, zeigte er mir einen Schuppen und erlaubte mir, alles zu nehmen, wofür ich Verwendung hatte, da er mir meine Arbeit nicht angemessen entlohnen könne. In dem Schuppen lag wirklich eine Menge Zeug – eine alte Holzbadewanne, Baseballschläger, ein Kinderplanschbecken. Ich suchte mir ein altes Fahrrad, einen nicht zu großen Eßtisch und zwei Stühle, einen Spiegel und eine Gitarre aus und fragte, ob ich mir die Sachen ausleihen dürfe. Alles, was ich wolle, sagte der Hausbesitzer nochmals.
Ich verbrachte einen ganzen Tag damit, das Rad auf Vordermann zu bringen, kratzte den Rost ab, ölte es, pumpte die Reifen auf, holte mir im Fahrradladen ein neues Kabel für die Gangschaltung und stellte sie wieder richtig ein. Anschließend war das Rad kaum wiederzuerkennen. Den Eßtisch staubte ich ab und verpaßte ihm einen neuen Anstrich. Die Gitarre bekam neue Saiten und mußte geleimt werden. Nachdem ich die Wirbel mit einer Drahtbürste gereinigt hatte, stimmte ich die Gitarre; sie war zwar kein besonders teures Stück, aber immerhin gelang es mir, ihr ein paar Töne entlocken. Seit meiner Schulzeit hatte ich keine Gitarre in der Hand gehabt. Ich setzte mich auf die Veranda, zupfte, so gut ich konnte, Up on the Roof von den Drifters und war ganz überrascht, wie viele Akkorde ich behalten hatte.
Als nächstes baute ich mir aus ein paar Brettchen einen Briefkasten, strich ihn rot an, schrieb meinen Namen darauf und plazierte ihn vor meiner Haustür. Doch bis zum dritten April blieb meine einzige Post ein Schreiben, das mir vom Wohnheim nachgeschickt worden war: die Ankündigung eines Klassentreffens. Ein Klassentreffen war das letzte, was mich interessierte. Zu allem Überfluß handelte es sich auch noch um die Klasse, in der ich zusammen mit Kizuki gewesen war. Ohne zu zögern, warf ich den Brief in den Mülleimer.
Am Nachmittag des vierten April lag endlich ein Brief im Briefkasten. Die Absenderin war Reiko Ishida. Sorgfältig schnitt ich ihn mit der Schere auf und setzte mich zum Lesen auf die Veranda. Von Anfang an hatte ich das Gefühl, daß es sich nicht um eine gute Nachricht handelte, und das bewahrheitete sich auch.
Zuerst entschuldigte sich Reiko
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