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Naokos Laecheln

Naokos Laecheln

Titel: Naokos Laecheln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Sonntag Schulter an Schulter durch die Stadt. Ich nahm an, daß Naoko mich nun als richtigen Freund betrachtete, und mir war es auch nicht gerade unangenehm, mit einem so hübschen Mädchen unterwegs zu sein. So streiften wir weiter auf unsere ziellose Weise durch Tōkyō, gingen bergauf, überquerten Bäche und Schienen, streunten überall umher, ohne uns jemals ein Ziel zu setzen. Wir liefen, um zu laufen – konzentriert, als handele es sich um ein religiöses Ritual zu unserer spirituellen Reinigung. Wenn es regnete, spannten wir unsere Schirme auf und gingen ohne Unterbrechung weiter.
    Es wurde Herbst, und der Hof des Wohnheims war von einer dichten Schicht Keyaki-Blättern bedeckt. Mit dem Duft der neuen Jahreszeit und zunehmender Kühle begann ich Pullover zu tragen. Ein Paar Schuhe hatte ich bereits durchgelaufen, so daß ich mir ein neues Paar aus Wildleder kaufte.
    Ich kann mich kaum erinnern, über was wir uns damals unterhielten, aber es kann nichts Besonderes gewesen sein. Noch immer vermieden wir es, die Vergangenheit zu erwähnen, und so fiel zwischen uns auch nie der Name Kizuki. Wir sprachen überhaupt nicht viel und konnten einander auch im Café schweigend gegenübersitzen.
    Naoko gefielen meine Geschichten von Sturmbandführer, und so erzählte ich oft von ihm. Einmal im Juni war er mit einem Mädchen (natürlich einer Geographiestudentin) ausgegangen, aber schon am frühen Abend mit enttäuschter Miene zurückgekehrt. »Sa-sa-sag mal, Watanabe, worüber unterhält man sich eigentlich so mit M-Mä-Mädchen?« hatte er mich gefragt. Ich weiß nicht mehr, was ich ihm antwortete, aber er hatte seine Frage ohnehin dem Falschen gestellt. Im Juli nahm jemand, als er nicht da war, sein Amsterdamer Grachtenbild von der Wand und hängte statt dessen ein Poster von der Golden Gate Bridge auf. Aus Interesse, ob Sturmbandführer auch mit Hilfe der Golden Gate Bridge masturbieren könne, lautete die Begründung. Er sei davon hingerissen, berichtete ich später, worauf jemand anderes sogleich einen Eisberg aufhängte. Jedesmal wenn das Bild ausgetauscht wurde, regte sich Sturmbandführer fürchterlich auf.
    »Ich wi-wi-will wissen, wer das macht«, stotterte er.
    »Tja«, erwiderte ich unverbindlich. »Ist aber eigentlich egal, oder? Sind doch schöne Bilder. Du solltest ihm dankbar sein.«
    »Schon, trotzdem ist es mir unheimlich.«
    Immer wenn ich solche Geschichten von Sturmbandführer erzählte, mußte Naoko lachen. Und da sie selten lachte, erzählte ich häufig von ihm, obwohl ich mich offen gesagt ein bißchen schämte, ihn so zu mißbrauchen. Er war der dritte Sohn einer nicht gerade wohlhabenden Familie und einfach nur ein wenig zu ernst, mehr nicht. Karten zu zeichnen war der bescheidene Traum seines bescheidenen Lebens. Was war daran so lächerlich?
    Inzwischen waren die »Sturmbandführer-Witze« im Wohnheim längst zum unentbehrlichen Gesprächsstoff geworden, und ich konnte, was ich einmal in Gang gesetzt hatte, nicht mehr unterbinden. Dazu kam, daß es mich viel zu sehr beglückte, Naoko lächeln zu sehen, und so versorgte ich weiterhin alle mit Sturmbandführer-Geschichten.
    Ein einziges Mal fragte Naoko mich, ob es nicht ein Mädchen gebe, in das ich verliebt sei. Ich erzählte ihr von dem Mädchen, das ich in Kōbe zurückgelassen hatte. Sie sei ein nettes Mädchen gewesen, das mir gelegentlich auch fehle. Es habe mir gefallen, mit ihr zu schlafen, aber irgendwie habe sie nichts in mir berührt, sagte ich. Anscheinend bestünde eine Verhärtung in meinem Herzen, die nur sehr schwer zu durchdringen sei. Möglicherweise sei ich gar nicht fähig, wirklich zu lieben.
    »Warst du denn je verliebt?« fragte Naoko.
    »Noch nie«, antwortete ich.
    Darauf stellte sie mir keine weiteren Fragen.
    Als der Herbst zu Ende ging und kalte Winde durch die Stadt fegten, nahm Naoko manchmal meinen Arm und drückte sich an mich. Durch den dicken Stoff ihres Dufflecoats konnte ich ihre Atmung spüren. Sie hängte sich an meinen Arm oder steckte ihre Hand in meine Manteltasche, und wenn es wirklich kalt war, schmiegte sie sich fröstelnd an meinen Arm, um sich zu wärmen. Aber eine andere Bedeutung hatten diese Berührungen für sie nicht, und auch ich ging unbeteiligt, die Hände in den Taschen vergraben, weiter. Da wir beide Schuhe mit Gummisohlen trugen, erzeugten unsere Schritte kaum ein Geräusch, außer einem trockenen Knacken, wenn wir auf die großen, welken Platanenblätter auf dem Pflaster traten, ein

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