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Naokos Laecheln

Naokos Laecheln

Titel: Naokos Laecheln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Kugeln auf einem Billardtisch. Und unser Leben lang saugen wir ihn wie feinen Staub in unsere Lungen.
    Bis dahin hatte ich den Tod als etwas völlig vom Leben Getrenntes und Unabhängiges begriffen. Unweigerlich würde der Tod eines Tages seine Hand auch nach mir ausstrecken, doch bis zu diesem Tag konnte er mir nichts anhaben. Das hatte ich für eine sehr saubere und logische Schlußfolgerung gehalten. Das Leben auf der einen Seite, der Tod auf der anderen. Ich befand mich auf der einen Seite und nicht auf der anderen. Aber an dem Abend, an dem Kizuki starb, wurde diese Grenze unscharf, und es fiel mir nun schwer, den Tod (und das Leben) auf so einfache Art voneinander zu scheiden. Offenbar war der Tod nicht die Antithese des Lebens, sondern ein integraler Bestandteil meiner Existenz, ja, war es immer gewesen. Diese Tatsache ließ sich nicht aus meinem Kopf verbannen, wie sehr ich mich auch darum bemühte. Als an jenem Abend im Mai seines siebzehnten Lebensjahres der Tod nach Kizuki gegriffen hatte, hatte er auch mich berührt.
    So verbrachte ich den Frühling meines achtzehnten Lebensjahres mit dem Gefühl eines Knotens aus Luft in meinem Inneren. Gleichzeitig sträubte ich mich, ernst zu werden, denn ich ahnte, daß Ernsthaftigkeit nicht unbedingt mit einer Annäherung an die Wahrheit identisch war, auch wenn es sich beim Tod auf jeden Fall um eine ernste Sache handelte. In diesem erstickenden Widerspruch gefangen, drehte ich mich endlos im Kreise. Es waren seltsame Tage, wenn ich jetzt daran zurückdenke. Mitten in meinem jungen Leben drehte sich alles um den Tod.

3. Kapitel
    Am folgenden Samstag erhielt ich einen Anruf von Naoko, und wir verabredeten uns für den Sonntag. Ich nenne es mal eine Verabredung, ein besseres Wort dafür fällt mir nicht ein.
    Wie beim letzten Mal wanderten wir ziellos durch die Straßen, tranken irgendwo Kaffee, gingen weiter, aßen zu Abend und verabschiedeten uns. Wieder ließ sie nur hie und da eine Bemerkung fallen, was ihr selbst offenbar nicht seltsam vorkam, und auch ich bemühte mich nicht gerade, das Gespräch in Gang zu halten. Wir sprachen über das, was uns so einfiel, unseren Alltag, die Uni – willkürliche Gesprächsfetzen eben. Die Vergangenheit erwähnten wir mit keinem Wort. Die meiste Zeit trabten wir einfach durch die Straßen. Glücklicherweise ist Tōkyō sehr ausgedehnt, so daß wir, wie weit wir auch gingen, nie an ein Ende gelangten.
    Fast an jedem Wochenende marschierten wir nun so durch die Stadt. Sie ging voran, und ich folgte ihr in kurzem Abstand. Naoko besaß eine Vielzahl von Haarspangen, die sie immer so trug, daß ihr rechtes Ohr frei blieb. Das ist das einzige, woran ich mich heute noch gut erinnere, denn damals sah ich sie meist nur von hinten. Wenn sie verlegen war, spielte sie an der Haarspange herum. Zudem hatte sie die Angewohnheit, ihren Mund mit einem Taschentuch zu betupfen, wenn sie etwas sagen wollte und nicht wußte, wie. Während ich all diese Angewohnheiten beobachtete, wuchs mir Naoko allmählich ans Herz.
    Sie besuchte eine kleine, aber feine Universität für Mädchen am Stadtrand, in Musashino, die für ihren Englischunterricht berühmt war. In der Nähe von Naokos Apartment floß ein klarer Bewässerungskanal, an dem wir mitunter spazierengingen. Manchmal lud sie mich zu sich ein und kochte etwas für uns. Daß wir beide dabei allein in ihrem Zimmer waren, schien sie nicht weiter zu berühren. Sie wohnte in einem nüchternen Raum ohne jeden überflüssigen Schnickschnack, und nur ihre in einer Ecke am Fenster zum Trocken aufgehängten Strümpfe wiesen darauf hin, daß es sich um das Zimmer eines Mädchens handelte. Sie lebte beinahe spartanisch und schien auch kaum Freunde zu haben. Eine völlig andere Naoko als die, die ich aus der Schulzeit kannte, als sie schicke Sachen getragen und sich mit zahllosen Freunden umgeben hatte. An ihrem Zimmer erkannte ich, daß sie, genau wie ich, die Stadt verlassen hatte, um an einem Ort, wo niemand sie kannte, zu studieren und ein neues Leben anzufangen.
    »Die Uni hab ich mir ausgesucht, weil hier bestimmt keine aus meiner Klasse herkommt«, sagte sie lachend. »Die gehen alle auf bessere Unis – du weißt schon.«
    Unterdessen entwickelte sich unsere Beziehung durchaus weiter. Allmählich gewöhnte sie sich an mich und ich mich an sie. Als die Sommerferien zu Ende gingen und das neue Semester begann, wanderten Naoko und ich, als wäre es die natürlichste Sache der Welt, wieder jeden

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