Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Naokos Laecheln

Naokos Laecheln

Titel: Naokos Laecheln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
Vinaigrette, üppig gerollte Omeletts, selbst marinierte Makrele nach Kyotō-Art, gedünstete Auberginen, klare Brühe mit Wasserkresse, Reis mit Shimeji-Pilzen und außerdem reichlich eingelegten Rettich und mit geröstetem Sesam bestreute kleine Beilagen. Gewürzt war alles in jenem zarten Stil, der die feine Kansai-Küche auszeichnet.
    »Köstlich«, lobte ich begeistert.
    »Na gut, Watanabe, gib’s zu, du hast nicht damit gerechnet, daß ich kochen kann, stimmt’s? Das sieht man mir nicht an, oder?«
    »Eigentlich nicht«, sagte ich ehrlich.
    »Du bist aus Kansai, deshalb schmeckt es dir so, oder?«
    »Sag bloß, du hast extra wegen mir so gekocht?«
    »Quatsch! Das wäre mir zu anstrengend gewesen. Wir essen immer so.«
    »Ach, dann stammt dein Vater oder deine Mutter aus Kansai?«
    »Nein, mein Vater ist von hier, und meine Mutter kommt aus Fukushima. Keiner in meiner Familie stammt aus Kansai. Alle sind aus Tōkyō oder aus Nord-Kantō.«
    »Versteh ich nicht. Wieso beherrschst du dann die Kansai-Küche so perfekt? Hast du das von jemandem gelernt?«
    »Das ist eine lange Geschichte«, sagte sie, den Mund voller Omelett. »Meine Mutter haßte jede Art von Hausarbeit und hat fast nie gekocht. Außerdem haben wir ja den Laden, also war sie sowieso immer zu beschäftigt, und wir haben meist fertiges Essen bestellt, wie Frikadellen vom Metzger und so. Schon als Kind habe ich das verabscheut. Ekelhaft. Als ob man einen großen Pott Eintopf kocht und dann drei Tage davon ißt. Also beschloß ich eines Tages – so gegen Ende der Mittelstufe – richtig für die Familie zu kochen. Ich ging zur großen Buchhandlung Kinokuniya in Shinjuku und kaufte mir das größte und schönste Kochbuch, das sie hatten. Nach und nach meisterte ich es von vorn bis hinten. Wie man ein Schneidebrett auswählt, Messer schärft, einen Fisch filetiert, wie man Bonito-Späne hobelt – alles. Und da der Autor des Buches aus Kyotō stammte, lernte ich eben nur die Kansai-Küche.«
    »Du hast das alles aus einem Buch gelernt?«
    »Nicht nur, ich habe immer ein bißchen Geld gespart, um die Gerichte im Restaurant probieren zu können, damit ich wußte, wie sie schmecken müssen. Ich habe für so etwas ein ganz gutes Gespür. Logisch denken kann ich dagegen überhaupt nicht.«
    »Toll. Und ohne daß es dir jemand beigebracht hat!«
    »Manchmal war’s auch mühselig.« Midori seufzte. »Weil meine Familie sich nicht fürs Essen interessiert. Wenn ich anständige Messer und Töpfe kaufen wollte, haben sie mir das Geld dafür nicht gegeben. Was wir haben, reicht doch, hieß es immer. Und wenn ich mich beklagte, daß es unmöglich sei, mit so einem mickrigen Messer Fisch zu filetieren, fragten sie nur, wozu ich überhaupt Fische filetieren müsse. Hoffnungslos. Also hab ich mein Taschengeld gespart und anständige Messer, Töpfe und Siebe gekauft. Unglaublich, was? Ein fünfzehnjähriges Mädchen spart wie verrückt, um Sieb, Schleifstein und einen Tempura-Wok anzuschaffen, während ihre Freundinnen sich von ihrem Taschengeld schicke Kleider und Schuhe kaufen. Ein armes Ding, oder?«
    Ich nickte und schlürfte die Brühe mit Wasserkresse.
    »Als ich in der zehnten Klasse war, brauchte ich unbedingt eine rechteckige Pfanne für diese länglichen Omeletts. Ich kaufte sie von dem Geld, das eigentlich für einen neuen BH vorgesehen war. Ziemlich schwierig, weil ich dann drei Monate mit nur einem auskommen mußte. Kaum zu glauben, was? Ich wusch ihn abends und sah zu, daß ich ihn trocken bekam, damit ich ihn am nächsten Morgen wieder anziehen konnte. Eine Katastrophe, wenn er nicht trocken war. Es gibt nichts Traurigeres, als einen noch feuchten BH zu tragen. Ich hätte heulen können. Und das alles wegen einer rechteckigen Omelettpfanne!«
    »Also wirklich!« Ich lachte.
    »Es hört sich nicht schön an, aber eigentlich war ich erleichtert, als meine Mutter starb. Danach konnte ich das Haushaltsgeld so verwenden, wie ich wollte. Darum habe ich jetzt so ziemlich alle Gerätschaften, die ich brauche. Mein Vater läßt mir völlig freie Hand.«
    »Wann ist deine Mutter denn gestorben?«
    »Vor drei Jahren«, entgegnete sie knapp. »Krebs. Ein Gehirntumor. Sie war anderthalb Jahre im Krankenhaus und hat fürchterlich gelitten. Am Ende hat sie den Verstand verloren, mußte betäubt werden und konnte doch nicht sterben. Schließlich lief es beinahe auf Sterbehilfe hinaus. Ein grauenhafter Tod, schrecklich für sie und schlimm für uns. Außerdem war

Weitere Kostenlose Bücher