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Naokos Laecheln

Naokos Laecheln

Titel: Naokos Laecheln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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liegt, wollte mir nicht einfallen. Da war auch Midori schon wieder bei mir und bedeutete mir, rasch mit ihr zu kommen, worauf ich ihr zum Ende des Flurs und über eine steile Treppe zu einer Holzterrasse mit Wäschestangen aus Bambus folgte. Von dieser Terrasse, die höher gelegen war als die meisten umliegenden Dächer, hatte man einen guten Blick über das Viertel. Drei, vier Häuser weiter stiegen dichte, schwarze Rauchwolken auf, die der Wind in Richtung Hauptstraße blies. Brandgeruch erfüllte die Luft.
    »Das ist bei Sakamotos«, sagte Midori, auf das Geländer gestützt. »Sakamotos hatten früher eine traditionelle Schreinerwerkstatt, aber sie mußten das Geschäft schon vor längerer Zeit aufgegeben.«
    Ich stützte mich ebenfalls aufs Geländer und versuchte zu erkennen, was dort drüben vorging. Ein zweistöckiges Gebäude versperrte uns die direkte Sicht auf den Brandherd, aber es schienen drei oder vier Löschfahrzeuge im Einsatz zu sein. Weil die Gasse so eng war, konnten nicht mehr als zwei Wagen hineinfahren. Die anderen warteten auf der Hauptstraße. In der Gasse hatten sich die üblichen Schaulustigen versammelt.
    »Vielleicht solltest du eure Wertsachen zusammensuchen und dich zur Flucht bereitmachen«, sagte ich zu Midori. »Der Wind bläst im Augenblick zwar in die andere Richtung, aber er kann sich jederzeit drehen. Außerdem ist die Tankstelle nicht weit. Ich helfe dir beim Packen.«
    »Was für Wertsachen?« fragte Midori.
    »Was man eben so hat. Sparbücher, registrierte Stempel, Urkunden und so. Geld für Notfälle.«
    »Laß nur. Ich würde sowieso nicht fliehen.«
    »Auch nicht, wenn es hier brennt?«
    »Nein«, sagte Midori. »Mir macht es nichts aus zu sterben.«
    Ich sah ihr in die Augen. Und sie mir. Ich konnte nicht erkennen, ob sie es ernst meinte oder nur scherzte. Ich sah sie eine Weile an, und plötzlich war auch mir alles recht.
    »Also gut, dann bleibe ich auch hier bei dir«, sagte ich.
    »Du würdest mit mir sterben?« fragte Midori mit glänzenden Augen.
    »Quatsch, wenn’s gefährlich wird, hau ich natürlich ab. Sterben kannst du allein.«
    »Du bist eiskalt, oder?«
    »Nur weil du mich zum Mittagessen eingeladen hast, kann ich doch nicht mit dir sterben. Wenn’s allerdings ums Abendessen gegangen wäre…«
    »Dann bleiben wir noch eine Weile hier und schauen zu. Laß uns etwas singen. Das andere können wir uns überlegen, wenn es so weit ist.«
    »Singen?«
    Midori holte zwei Sitzkissen, vier Dosen Bier und eine Gitarre aus dem Haus. Wir tranken und sahen zu, wie der schwarze Rauch aufstieg. Midori spielte Gitarre und sang. Ich fragte sie, ob das die Nachbarn nicht verärgern würde, denn auf der Terrasse zu sitzen und singend und trinkend die Aussicht zu genießen, während ihr Haus abbrannte, kam mir nicht gerade taktvoll vor.
    »Macht nichts«, erwiderte sie. »Wir haben uns noch nie darum gekümmert, was die Nachbarn denken.«
    Sie sang Lieder, die sie aus ihrer Gruppe kannte. Man konnte nicht eben sagen, daß sie gut spielte oder sang, aber sie selbst hatte viel Spaß daran. Sie sang einen Klassiker nach dem anderen: Lemon Tree, Puff, the Magic Dragon, Five Hundred Miles, Where have all the Flowers gone; Michael Row the Boat Ashore. Anfangs wollte sie, daß ich die Baßstimme mitsang, aber ich sang so schlecht, daß sie aufgab und allein weitersang. Ich schlürfte mein Bier, hörte zu und behielt das Feuer im Auge. Verschiedene Male loderte es auf und sank wieder in sich zusammen. Schreiend wurden Anweisungen erteilt. Über uns flog mit großem Getöse ein Hubschrauber mit Reportern und verschwand wieder, nachdem sie ihre Aufnahmen gemacht hatten. Ich hoffte, daß wir wenigstens nicht drauf waren. Ein Polizist forderte die Schaulustigen über Lautsprecher auf zurückzutreten. Ein Kind weinte nach seiner Mutter. Irgendwo zersplitterte Glas. Bald wurde der Wind unbeständig und verteilte um uns herum weiße Asche. Doch Midori nippte an ihrem Bier und sang unverdrossen weiter. Nachdem sie mit allen Liedern, die sie kannte, durch war, gab sie ein seltsames kleines Lied zum Besten, das sie selbst geschrieben hatte.
    »Wie gern würd ich dir ‘ne Suppe kochen,
doch ich hab keinen Topf. Wie gern würd ich dir ‘nen Schal stricken,
doch ich hab keine Wolle.
Wie gern schrieb ich dir ein Gedicht,
doch ich hab keinen Stift.«
    »Das Lied heißt ›Nichts‹«, teilte mir Midori mit. Text und Melodie waren grauenhaft.
    Während ich ihrem chaotischen Lied lauschte, dachte

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