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Naokos Laecheln

Naokos Laecheln

Titel: Naokos Laecheln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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sitze nur da und passe auf den Laden auf.«
    »Ich habe mir gleich gedacht, daß du nie Geldsorgen hattest.«
    »Stimmt, um Geld mußte ich mir nie Sorgen machen. Viel hatten wir auch nicht gerade – eben so wie die meisten Leute.«
    »Die meisten Leute auf meiner Schule waren stinkreich«, sagte Midori und drehte die Handflächen in ihrem Schoß nach oben. »Das war das Problem.«
    »Dann siehst du von jetzt an eben eine andere Seite der Welt.«
    »Was ist das beste daran, wenn man reich ist? Was meinst du?«
    »Keine Ahnung.«
    »Du kannst es zugeben, wenn du kein Geld hast. Zum Beispiel, wenn ich eine Klassenkameradin fragte, ob wir dies oder jenes unternehmen wollten, konnte sie einfach sagen: ›Ich hab leider gerade kein Geld.‹ Ich konnte das im umgekehrten Fall nie zugeben, denn es hätte bedeutet, daß ich wirklich kein Geld hatte. Traurig, was? Wenn ein hübsches Mädchen sagt: ›Ich gehe nicht aus, ich sehe heute schauderhaft aus‹, hat jeder Verständnis, aber wenn ein häßliches Mädchen dasselbe sagt, wird sie ausgelacht. So sah die Welt für mich aus. Sechs Jahre lang.«
    »Das hast du bald vergessen«, sagte ich.
    »Hoffentlich. Die Uni ist eine solche Erleichterung! Voller normaler Menschen.«
    Sie verzog die Lippen zu einem winzigen Lächeln und strich sich über ihr kurzes Haar.
    »Arbeitest du auch?«
    »Ja, ich schreibe die Erläuterungen zu Landkarten. Du kennst doch diese kleinen Hefte, die es zu Landkarten gibt? Ortsbeschreibungen, Einwohnerzahl, Sehenswürdigkeiten usw. Den und den Wanderweg gibt es oder die und die Legende, diese oder jene Blumen und Vögel. So was schreibe ich, ist kinderleicht und geht ruckzuck. Wenn ich einen Tag in der Hibiya-Bibliothek sitze, schaffe ich ein ganzes Heft. Weil ich die Tricks kenne, kriege ich immer Aufträge.«
    »Was denn für Tricks?«
    »Du fügst etwas ein, das sonst keiner schreibt. Sofort sind die Leute vom Kartenverlag ganz platt und sagen: ›Aha, das Mädchen kann schreiben‹ und geben dir mehr Arbeit. Es muß nichts Weltbewegendes sein, eine Kleinigkeit genügt. Zum Beispiel: ein Damm wurde gebaut, im Stausee liegt ein Dorf, aber die Zugvögel erinnern sich noch an das Dorf und kommen in jedem Frühling wieder. Dann kann man beobachten, wie sie über dem Stausee kreisen. Solche Geschichten sind unheimlich beliebt, weil sie anschaulich sind und zu Herzen gehen. Normalerweise machen sich die Autoren diese Mühe nicht. Deshalb verdiene ich ganz gut mit dem, was ich schreibe.«
    »Ja, aber du mußt doch einen Sinn für solche Einzelheiten haben und sie erst mal aufspüren.«
    »Stimmt.« Midori legte den Kopf zu Seite. »Aber wer suchet, der findet. Und wenn nicht, kann ich mir immer noch etwas Unverfängliches ausdenken.«
    »Ach so«, sagte ich beeindruckt.
    »Peace«, sagte Midori.
    Da sie etwas über mein Wohnheim hören wollte, erzählte ich ihr vom Hissen der Flagge und von Sturmbandführers Radiogymnastik. Auch Midori lachte sich halb kaputt über Sturmbandführer, wie er überhaupt alle Welt zum Lachen brachte. Midori fand meinen Bericht so interessant, daß sie das Wohnheim gern einmal sehen wollte. Eigentlich sei daran überhaupt nichts interessant, erklärte ich ihr.
    »Ein paar hundert Studenten in schmuddligen Zimmern, die sich besaufen und masturbieren.«
    »Du auch?«
    »Es gibt keinen Mann, der das nicht tut«, dozierte ich. »Mädchen habe ihre Periode, und Jungen masturbieren. Alle und jeder.«
    »Auch die, die eine Freundin haben? Und mir ihr schlafen?«
    »Das ist nicht die Frage. Der Keiō-Student im Zimmer neben mir masturbiert vor jeder Verabredung. Es entspannt ihn, sagt er.«
    »Davon verstehe ich nicht viel. Ich war ja die ganze Zeit auf einer Mädchenschule.«
    »So was steht wahrscheinlich auch nicht in den Frauenzeitschriften?«
    »Nee.« Sie lachte. »Übrigens, hast du nächsten Sonntag Zeit?«
    »Ich hab sonntags immer Zeit. Zumindest bis sechs, dann muß ich arbeiten.«
    »Wenn du Lust hast, besuch mich doch mal. In der Buchhandlung Kobayashi. Der Laden ist zwar geschlossen, aber ich muß wahrscheinlich bis abends auf einen wichtigen Anruf warten. Kommst du zum Mittagessen? Ich koche was für uns.«
    »Au ja.«
    Midori riß eine Seite aus ihrem Heft und zeichnete eine genaue Skizze des Weges zu ihrem Haus. Dann markierte sie die Stelle, wo das Haus stand, mit einem großen, roten X.
    »Du kannst es gar nicht verfehlen. Auf einem großen Schild steht ›Buchhandlung Kobayashi‹. Kannst du um zwölf da sein?

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