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Naokos Laecheln

Naokos Laecheln

Titel: Naokos Laecheln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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macht mir Spaß.
    Insgesamt leben hier ungefähr siebzig Personen. Dazu kommt das Personal (Ärzte, Schwestern, Büroangestellte etc.), das sind noch mal etwa zwanzig. Das Gelände ist sehr weitläufig, so daß diese Zahl nicht besonders ins Gewicht fällt. Eigentlich ist es hier sogar ziemlich leer. Viel Platz und viel Natur, alle führen ein sehr friedliches Leben. So friedlich, daß ich manchmal glaube, daß wir hier in einer normalen, realen Welt leben. Das stimmt natürlich nicht, denn wir leben hier unter ganz bestimmten Voraussetzungen.
    Ich spiele Tennis und Basketball. Die Basketballmannschaft besteht aus Angestellten und (ich mag das Wort nicht, aber es führt kein Weg daran vorbei) Patienten. Wenn ich in ein Spiel vertieft bin, vergesse ich manchmal, wer zum Personal gehört und wer zu den Patienten. Das ist ziemlich merkwürdig. Ich weiß, es klingt seltsam, aber wenn ich mir die Leute während eines Spiels betrachte, kommen mir alle gleich gestört vor.
    Ich habe das einmal meinem zuständigen Arzt gesagt, und er hat mir erklärt, daß mein Gefühl in gewisser Weise zutreffend sei, daß wir nämlich nicht hier im Sanatorium seien, um eine Anomalie zu korrigieren, sondern um uns an sie zu gewöhnen. Eines unserer Probleme sei die Unfähigkeit, unsere eigenen Defekte zu erkennen und zu akzeptieren. Genau wie jeder Mensch einen bestimmten charakteristischen Gang hat, so hat er auch Eigenheiten des Denkens oder Fühlens oder Wahrnehmens. Sollen diese korrigiert werden, kann das nicht abrupt geschehen. Versucht man diese Korrekturen jedoch zu erzwingen, kann die Folge davon sein, daß andere Unregelmäßigkeiten auftreten. Das ist natürlich eine stark vereinfachende Erklärung, die nur einen Teil unserer Probleme berührt, aber sie hat mir doch geholfen, einigermaßen zu verstehen, was er mir sagen wollte. Es kann passieren, daß uns die Anpassung niemals richtig gelingt. Wir können die von unseren Macken verursachten sehr realen Leiden und Schmerzen nicht in uns integrieren und sind hier, um erst einmal von den Auslösern wegzukommen. Solange wir hier sind, verletzen wir weder andere noch werden wir selbst verletzt, denn wir sind uns unserer ›Deformation‹ bewußt. Unser Leben hier unterscheidet sich dadurch völlig von der Außenwelt. Die meisten Menschen draußen gehen ihrem Alltag nach, ohne sich ihrer Defekte bewußt zu sein, wohingegen in unserer kleinen Welt hier gerade diese Defekte eine Voraussetzung sind. Wie Indianer, die Federn auf dem Kopf tragen, um zu zeigen, welchem Stamm sie angehören, tragen wir unsere Macken ganz offen vor uns her und gehen ganz vorsichtig miteinander um, um einander nicht zu schaden.
    Neben unseren sportlichen Aktivitäten pflanzen wir auch Gemüse an. Tomaten, Auberginen, Gurken, Melonen, Erdbeeren, Schalotten, Kohl, Rettiche und andere. Fast alles. Wir haben sogar Gewächshäuser. Die Bewohner des Heims wissen eine Menge über den Anbau von Gemüse und widmen sich ihm sehr intensiv. Sie lesen Bücher darüber und ziehen Experten zu Rate. Von morgens bis abends geht es um Dünger, Bodenbeschaffenheit und solche Sachen. Der Gemüseanbau macht mir inzwischen richtig Spaß. Es ist eine große Freude zu beobachten, wie die verschiedenen Früchte und Gemüse jeden Tag ein bißchen wachsen. Hast du schon einmal eine Wassermelone gezogen? Wassermelonen nehmen allmählich zu und werden dicker, wie kleine Tiere.
    Jeden Tag kommt frisch geerntetes Obst und Gemüse auf den Tisch. Natürlich essen wir auch Fleisch und Fisch, aber hier hat man immer weniger Appetit darauf, weil das Gemüse so frisch und köstlich ist. Bisweilen machen wir einen Ausflug in den Wald, um Kräuter und Pilze zu sammeln. Wir haben hier Experten (hier wimmelt es geradezu von Experten), die uns sagen, was eßbar und was giftig ist. Daher habe ich auch, seit ich hier bin, drei Kilo zugenommen. Durch die körperliche Bewegung und die gesunde, regelmäßige Ernährung ist mein Gewicht jetzt genau richtig.
    Ansonsten lesen wir, hören Schallplatten oder stricken. Radio und Fernsehen gibt es nicht. Dafür haben wir eine recht gute Bibliothek, in der man auch Schallplatten ausleihen kann. Von Mahlers gesammelten Symphonien bis zu den Beatles gibt es dort alles, und ich leihe mir ständig Platten aus, um sie auf meinem Zimmer zu hören.
    Das einzige Problem an dieser Einrichtung ist, daß man sie am liebsten gar nicht mehr verlassen würde, ja, sogar eine gewisse Angst davor entwickelt. Hier fühlt man sich

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