Naokos Laecheln
es auch bei dir nicht immer klappt.«
»Naja, einmal im Jahr kommt das schon vor«, sagte er.
Ehrlich gesagt, ich hatte mittlerweile ohnehin jede Lust auf Sex verloren. Nachdem ich dreieinhalb Stunden im samstäglichen Trubel von Shinjuku Zeuge der Energien gewesen war, die von Sexualität und Alkohol entfesselt werden, war meine eigene Libido mehr als geschwächt.
»Was hast du jetzt vor, Watanabe?« fragte mich Nagasawa.
»Ich glaub, ich seh mir eine Spätvorstellung an. Ich war schon ewig nicht im Kino.«
»Dann gehe ich zu Hatsumi. Macht es dir was aus?«
»Warum sollte mir das denn was ausmachen?« sagte ich lachend.
»Wenn du willst, mache ich dich mit einem Mädchen bekannt, bei dem du übernachten kannst.«
»Nee, ich hab jetzt Lust, einen Film zu sehen.«
»Ich gebe zu, es war Mist. Nächstes Mal klappt’s wieder besser.« Damit verschwand er in der Menge. An einem Imbißstand aß ich einen Cheeseburger und bekämpfte meinen Rausch mit heißen Kaffee; dann ging ich in ein Programmkino in der Nähe und schaute mir Die Reifeprüfung an. Ich fand den Film nicht besonders gut, aber da ich nichts Besseres zu tun hatte, blieb ich sitzen und sah ihn mir gleich zweimal hintereinander an. Um vier Uhr morgens verließ ich das Kino und schlenderte in Gedanken versunken durch die kühlen Straßen von Shinjuku.
Als mich Müdigkeit überkam, ging ich in ein Nachtcafé, trank einen Kaffee und las, um mir die Zeit bis zur ersten Bahn zu vertreiben. Nach und nach füllte sich das Café mit Nachschwärmern, die ebenso wie ich auf die erste Bahn warteten. Der Kellner kam an meinen Tisch, um zu fragen, ob sich noch andere Gäste zu mir setzen dürften. Ja, natürlich. Ich las mein Buch, also konnte es mir egal sein, wer mir gegenüber saß. Es waren zwei Mädchen in meinem Alter, keine Schönheiten, aber sie sahen auch nicht schlecht aus. Beide waren dezent geschminkt und gekleidet, überhaupt nicht der Typ, der sich bis morgens um fünf in Shinjuku herumtreibt. Bestimmt hatten sie nur die letzte Bahn verpaßt. Es erleichterte sie offenbar, daß sie an meinem Tisch gelandet waren. Ich war ordentlich angezogen, hatte mich am Abend rasiert und las auch noch im Zauberberg von Thomas Mann.
Das eine Mädchen war eher groß, trug einen grauen Parka, weiße Jeans und große Ohrringe in Muschelform. Sie hatte eine Tasche aus Lederimitat bei sich. Die andere war klein, mit Brille und trug eine dunkelblaue Strickjacke über einem karierten Hemd und einen türkisblauen Ring. Sie hatte die Angewohnheit, von Zeit zu Zeit die Brille abzunehmen und die Fingerspitzen auf die Augen zu pressen.
Die beiden bestellten Milchkaffee und Kuchen, brauchten aber eine ganze Weile, um ihren Kuchen zu verzehren und ihren Kaffee zu trinken, weil sie pausenlos aufgeregt miteinander tuschelten. Das größere Mädchen legte den Kopf ständig schief, während die Kleine den ihren ebenso oft schüttelte. Wegen der lauten Musik – Marvin Gaye, die Bee Gees oder sonst was – bekam ich nicht mit, worüber sie sprachen, aber die Kleine schien aufgeregt oder ärgerlich zu sein, während die Große sich bemühte, sie zu beruhigen. Abwechselnd las ich in meinem Buch und beobachtete sie.
Als die Kleine ihre Schultertasche an die Brust drückte und zur Toilette ging, sprach mich das andere Mädchen an. »Entschuldige.« Ich legte mein Buch ab und sah auf. »Weißt du zufällig, ob hier in der Nähe noch eine Bar geöffnet ist, die Alkohol ausschenkt?«
»Jetzt, nach fünf?« fragte ich verdutzt.
»Genau.«
»Also, um zwanzig nach fünf denken die meisten Leute daran, nüchtern zu werden und nach Haus zu gehen.«
»Weiß ich«, sagte sie ziemlich verlegen. »Aber meine Freundin sagt, sie braucht jetzt einen Drink. Aus bestimmten Gründen.«
»Da bleibt euch wohl nicht viel anderes übrig, als nach Haus zu fahren und dort etwas zu trinken.«
»Aber ich muß um halb acht einen Zug nach Nagano kriegen.«
»Dann zieht euch doch was am Automaten und setzt euch irgendwohin.«
Unter vielen Entschuldigungen bat sie mich, sie zu begleiten, denn zwei Mädchen allein könnten so etwas doch nicht tun. Ich hatte schon viele seltsame Erlebnisse in Shinjuku gehabt, aber daß mich unbekannte Mädchen morgens um zwanzig nach fünf zum Trinken einluden, war mir noch nie passiert. Abzulehnen wäre mir schäbig vorgekommen, und Zeit hatte ich auch. Also kaufte ich an einem Automaten in der Nähe genügend Sake und etwas zum Knabbern und ging mit den beiden Mädchen zu
Weitere Kostenlose Bücher