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Naokos Laecheln

Naokos Laecheln

Titel: Naokos Laecheln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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handeln, und ich suchte einen Psychiater auf, aber auch dem fiel nichts Erhellendes dazu ein. Er tippte auf Streß wegen des Wettbewerbs und riet mir, mich für eine Weile vom Klavier fernzuhalten.«
    Reiko inhalierte tief und blies den Rauch langsam wieder aus, dann drehte sie den Kopf ein paarmal hin und her.
    »Ich fuhr zu meiner Großmutter nach Izu, um mich dort zu erholen. Ich dachte mir, diesen Wettbewerb läßt du sausen, ruhst dich aus und tust zwei Wochen lang nur, was dir Spaß macht. Aber das klappte natürlich nicht. Was ich auch tat, das Klavier ging mir nicht aus dem Kopf. Ich konnte an nichts anderes denken. Angenommen, ich würde den kleinen Finger nie mehr bewegen können, was sollte dann aus mir werden? Meine Gedanken drehten sich unablässig im Kreis. Kein Wunder, denn bis dahin war das Klavier mein ganzer Lebensinhalt gewesen. Mit vier Jahren hatte ich damit begonnen und seither nur für das Klavierspielen gelebt. Andere Interessen hatte ich so gut wie keine. Im Haushalt rührte ich keinen Finger, um meine Hände nicht zu verletzen. Die Beachtung, die man mir schenkte, galt einzig meiner Begabung. Wenn man einem Mädchen, das so aufgewachsen ist, das Klavier nimmt, was bleibt ihm dann noch? Peng – irgendwo in meinem Kopf brannte eine Sicherung durch. Wirrwarr, Finsternis.«
    Reiko warf die Zigarette auf die Erde und trat sie aus.
    »So endete mein Traum von der Konzertpianistin. Ich verbrachte zwei Monate im Krankenhaus. Kurz nachdem ich eingeliefert worden war, konnte ich den kleinen Finger schon wieder bewegen, also konnte ich zurück aufs Konservatorium und das Examen ablegen, aber etwas in mir war erloschen – als hätte sich die treibende Kraft aus meinem Körper verflüchtigt. Die Ärzte meinten, meine Nerven seien nicht stark genug für eine Laufbahn als Konzertpianistin, und rieten mir davon ab. So nahm ich nach dem Examen Schüler an und unterrichtete sie zu Hause. Aber ich litt entsetzlich – als wäre mein Leben zu Ende. Da war ich gerade Anfang zwanzig, und der beste Teil meines Lebens lag bereits hinter mir. Können Sie sich vorstellen, wie grauenhaft so etwas ist? In Reichweite meiner Hände hatten solche Möglichkeiten gewartet, und ehe ich mich versah, war nichts mehr davon übrig. Niemand applaudierte mir mehr, niemand beachtete mich mehr, niemand lobte mich mehr. Tag für Tag übte ich mit den Kindern aus der Nachbarschaft Tonleitern und brachte ihnen Sonatinen bei. Ich fühlte mich so elend, daß ich ständig weinte. Was hatte ich doch alles verpaßt! Wenn ich hörte, daß einer meiner Mitschüler am Konservatorium, der weit weniger begabt war als ich, bei einem Wettbewerb Lorbeeren geerntet oder in dieser oder jener Halle ein Konzert gegeben hatte, brach ich vor Zorn in Tränen aus.
    Aus Angst, mir wehzutun, schlichen meine Eltern nur noch auf Zehenspitzen um mich herum. Natürlich war mir klar, daß ich sie enttäuscht hatte. Auf einmal war aus der Piano-Prinzessin, auf die sie so stolz gewesen waren, eine Psychiatrie-Heimkehrerin geworden. Nicht einmal eine gute Partie kam für mich mehr in Frage. So etwas spürt man, wenn man mit anderen täglich zusammenlebt, und die Situation wurde für mich unerträglich. Aus Furcht vor dem Gerede der Nachbarn traute ich mich schließlich nicht mehr aus dem Haus. Dann Peng – passierte es wieder, die Sicherung brannte durch, Wirrwarr, Finsternis. Da war ich vierundzwanzig. Sieben Monate verbrachte ich in einer Heilanstalt – nicht in einer wie dieser hier, sondern in einer richtigen Anstalt mit hohen Mauern und verriegelten Toren. Schmutzig war es, und es gab dort kein einziges Klavier… Ich wußte nicht, was ich mit mir anfangen sollte. Ich wußte nur, daß ich so bald wie möglich wieder rauskommen wollte, und strengte mich verzweifelt an, gesund zu werden, sieben Monate hindurch, sieben lange Monate. Damals fing das mit meinen Falten an.«
    Reiko lächelte breit.
    »Bald nach meiner Entlassung lernte ich meinen Mann kennen und heiratete. Er war ein Jahr jünger als ich, Ingenieur bei einer Firma, die Flugzeuge baute, und einer meiner Klavierschüler. Ein lieber Mensch, nicht sehr gesprächig, aber warmherzig und aufrichtig. Nachdem er sechs Monate Unterricht genommen hatte, bat er mich auf einmal, ihn zu heiraten. Einfach so, als wir nach dem Unterricht zusammen Tee tranken. Unglaublich, nicht? Bis dahin hatten wir noch nie ein Rendezvous gehabt oder auch nur Händchen gehalten. Ich fiel aus allen Wolken und erklärte ihm, aus

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