Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Naokos Laecheln

Naokos Laecheln

Titel: Naokos Laecheln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
lächelte mich traurig an.
    »Unsere Beziehung ließ sich auch kaum mit einer normalen Beziehung zwischen einem Jungen und einem Mädchen vergleichen. Es war fast, als wären wir körperlich verbunden, als würde eine eigenartige Kraft uns wieder zueinander treiben, wenn wir einmal räumlich getrennt waren. Es war das Natürlichste von der Welt, daß Kizuki und ich eine Liebesbeziehung hatten. Darüber brauchten wir nie nachzudenken, wir hatten gar nicht die Wahl. Mit zwölf haben wir uns zum ersten Mal geküßt und mit dreizehn Petting gemacht. Ich kam in sein Zimmer oder er in meins und ich machte es ihm mit der Hand… Ich wäre nie auf die Idee gekommen, daß wir uns frühreif verhielten. Alles ergab sich ganz selbstverständlich. Wenn er meine Brüste oder meine Vagina berühren wollte, hatte ich überhaupt nichts dagegen, und es machte mir auch nichts aus, ihm zu helfen, seinen überschüssigen Samen loszuwerden. Wenn man uns dafür ausgeschimpft hätte, wären wir bestimmt überrascht und empört gewesen, denn wir hatten nicht das Gefühl, etwas Unrechtes zu tun. Wir taten nur, was sich ganz von selbst ergab. Wir hatten uns schon immer jeden Winkel unserer Körper gezeigt, fast als gehörten sie uns gemeinsam. Weiter gingen wir eine ganze Weile nicht, weil wir Angst vor einer Schwangerschaft hatten und so gut wie keine Ahnung, wie man das verhüten kann… So wurden Kizuki und ich zusammen erwachsen, Hand in Hand, als unzertrennliches Paar. Die Schwierigkeiten mit der Sexualität und der Entwicklung ihrer Persönlichkeit, die Heranwachsende in der Pubertät normalerweise durchmachen, blieben uns nahezu erspart. Wir waren, wie gesagt, in unserer Sexualität völlig unbefangen und gingen so ineinander auf, daß uns da kaum etwas als Problem bewußt wurde. Verstehst du das?«
    »Ich glaube schon«, antwortete ich.
    »Getrennt zu sein, war für uns unerträglich. Hätte Kizuki weitergelebt, wären wir zusammengeblieben, hätten uns geliebt und einander langsam unglücklich gemacht.«
    »Unglücklich? Wieso denn das?«
    Naoko fuhr sich mehrmals mit den Fingern durchs Haar, das ihr immer wieder ins Gesicht fiel, denn sie hatte ihre Spange abgenommen.
    »Vielleicht, weil wir der Welt hätten zurückzahlen müssen, was wir ihr schuldig waren«, sagte Naoko und blickte zu mir auf. »Die Schmerzen des Erwachsenwerdens, zum Beispiel. Wir haben nicht bezahlt, als es an der Zeit dafür war, jetzt wird die Rechnung fällig. Deshalb ist Kizuki gestorben, und ich bin allein zurückgeblieben. Wir waren wie Kinder, die sich nackt auf einer einsamen Insel tummeln. Wenn wir Hunger bekamen, aßen wir einfach eine Banane; wenn wir uns einsam fühlten, schliefen wir einfach eng aneinander geschmiegt ein. Aber so etwas kann nicht von Dauer sein. Auch wir wurden erwachsen und mußten hinaus in die Gesellschaft. Deswegen warst du für uns so wichtig – du stelltest unsere Verbindung zur Außenwelt dar. Über dich versuchten wir, uns so gut wie möglich in sie einzufügen, aber am Ende hat es natürlich doch nicht funktioniert.«
    Ich nickte.
    »Glaub aber bitte nicht, wir hätten dich benutzt. Kizuki hatte dich wirklich gern. Nur war unsere Freundschaft mit dir unser erster näherer Kontakt zu einem anderen Menschen überhaupt. Und so ist es immer noch. Kizuki ist nun tot, aber du bist immer noch meine einzige Verbindung zur Außenwelt. Und wie Kizuki dich geliebt hat, liebe ich dich auch. Wir wollten es nie, aber wir haben dir wahrscheinlich das Herz gebrochen. Es ist uns nie in den Sinn gekommen, daß so etwas passieren könnte.«
    Naoko senkte den Kopf und schwieg.
    »Wie wär’s jetzt mit einer heißen Schokolade?« fragte Reiko.
    »Ja, sehr gern«, sagte Naoko.
    »Ich würde lieber etwas von dem Brandy trinken, den ich mitgebracht habe«, sagte ich.
    »Bitte, bitte«, erwiderte Reiko. »Kriege ich auch einen Schluck?«
    »Natürlich«, antwortete ich lachend.
    Reiko brachte zwei Gläser und wir tranken einander zu. Dann ging sie in die Küche, um den Kakao zu machen.
    »Können wir nicht über etwas Heitereres sprechen?« fragte Naoko.
    Aber mir fiel partout nichts Heiteres ein. Wie schade, dachte ich, daß es Sturmbandführer nicht mehr gibt! Man brauchte nur ein paar Anekdoten von diesem Kerl zu erzählen, schon brachen alle in Gelächter aus und die Stimmung war gerettet. So blieb mir nichts anderes übrig, als über die schmuddligen Zustände in meinem Wohnheim zu berichten. Ich hatte eigentlich keine Lust, über diesen Mist

Weitere Kostenlose Bücher