Naokos Laecheln
andere besuchen und Spiele spielen, so was eben.«
»Ich spiele Gitarre und schreibe an meiner Autobiographie«, sagte Reiko.
»Ihrer Autobiographie?«
»War nur ein Witz.« Reiko lachte. »Wir gehen um zehn ins Bett und schlafen tief und fest. Ein ziemlich solider Lebenswandel, nicht?«
Ich warf einen Blick auf meine Uhr. Es war kurz vor neun. »Dann werdet ihr ja sicher bald müde?«
»Heute machen wir eine Ausnahme«, sagte Naoko. »Wo wir uns doch so lange nicht gesehen haben. Erzähl doch auch mal was.«
»Als ich in letzter Zeit so viel allein war, dachte ich auf einmal öfter an früher«, sagte ich. »Weißt du noch, wie Kizuki und ich dich einmal im Sommer in dem Krankenhaus an der Küste besucht haben? Da waren wir, glaube ich, in der elften.«
»Ich mußte am Brustkorb operiert werden.« Naoko lächelte. »Ich kann mich noch genau daran erinnern. Ihr seid mit dem Motorrad gekommen, und du hast mir eine Schachtel geschmolzene Pralinen mitgebracht. Man konnte sie kaum essen. Es kommt mir vor, als wäre das eine Ewigkeit her.«
»Stimmt. Damals schriebst du gerade an einem langen Gedicht.«
»In dem Alter schreiben alle Mädchen Gedichte.« Naoko kicherte. »Aber wieso ist dir das alles plötzlich wieder eingefallen?«
»Keine Ahnung. Einfach so. Vielleicht lag es am Geruch der Meeresbrise oder am Oleander – jedenfalls war es auf einmal wieder da. Hat Kizuki dich damals oft im Krankenhaus besucht?«
»Nein, fast nie. Wir hatten später einen großen Krach deswegen. Am Anfang kam er einmal, dann noch mal mit dir und das war’s. Gemein von ihm, findest du nicht? Beim ersten Besuch zappelte er nur unruhig herum, brabbelte irgendwas und machte sich nach zehn Minuten wieder davon. Er hatte mir Orangen mitgebracht, von denen er mir eine schälte. Dann war er schon wieder verschwunden. Er könne Krankenhäuser nicht ausstehen, sagte er.« Naoko lachte. »In solchen Dingen war er unheimlich kindisch. Wer mag schließlich schon Krankenhäuser? Deshalb besucht man ja die Leute im Krankenhaus – damit sie sich wohler fühlen. Aber das hat er nicht begriffen.«
»Aber als wir dich zu zweit besucht haben, da war er ganz wie immer, oder?«
»Weil du dabei warst. Vor dir benahm er sich immer ganz normal. Er bemühte sich, seine Schwächen zu verbergen. Ich glaube, er mochte dich sehr und zeigte sich dir nur von seiner besten Seite. Wenn wir allein waren, ließ er sich eher mal gehen, denn im Grunde war er ziemlich launenhaft. Eben noch ganz vergnügt und redselig, und im nächsten Moment deprimiert. So ging es bei ihm ständig hin und her, schon seit seiner Kindheit. Er hat aber immer versucht, sich zu ändern, sich zu bessern.«
Naoko setzte sich anders hin.
»Aber er schaffte es nie so richtig, und darüber war er dann wieder wütend und enttäuscht. Es gab so viel Gutes und Sympathisches an ihm, aber er fand nie zu dem Selbstvertrauen, das er gebraucht hätte. Unentwegt grübelte er darüber nach, was er alles an sich ändern müßte. Armer Kizuki.«
»Wenn er sich tatsächlich immer bemüht hat, sich mir nur von der besten Seite zu zeigen, dann ist ihm das gelungen, würde ich sagen. Ich habe ihn wirklich nur von der besten Seite kennengelernt.«
Naoko lächelte. »Das würde ihn freuen. Du warst sein einziger Freund.«
»Er für mich auch. Ich habe sonst nie jemanden gekannt, den ich als meinen Freund bezeichnen würde – nicht vor Kizuki und nicht nach ihm.«
»Deshalb war ich auch so gern mit euch beiden zusammen. Dann bekam auch ich ihn nur von seiner besten Seite zu sehen und fühlte mich am wohlsten. Geborgen. Ich frage mich, wie du wohl unsere Treffen zu dritt empfunden hast?«
»Meist habe ich mir überlegt, was du wohl denkst«, sagte ich mit einem Kopfschütteln.
»Aber das Problem war, daß es so nicht immer weitergehen konnte. So ein kleiner, perfekter Kreis kann nicht ewig bestehen. Kizuki wußte das, ich wußte es und du auch, stimmt’s?«
Ich pflichtete ihr bei.
»Ehrlich gesagt«, fuhr Naoko fort, »ich habe seine Schwächen genauso geliebt wie seine Stärken. Er war ja nie gemein oder bösartig, nur schwach. Ich habe oft versucht, ihm das zu erklären, aber er hat mir nie geglaubt. Er hat mir immer gepredigt, es liege nur daran, daß wir seit unserem dritten Lebensjahr zusammen waren, daß ich ihn zu gut kennen würde, um noch zwischen seinen guten Seiten und seinen Fehlern zu unterscheiden. Aber ich habe ihn geliebt, und ein anderer hat mich nie interessiert.«
Naoko
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