Naokos Laecheln
verschwieg ihm auch die sexuellen Berührungen nicht mehr und daß ich das Mädchen geohrfeigt hatte. Meine Gefühle dabei behielt ich selbstverständlich für mich. Wie hätte ich ihm bei aller Ehrlichkeit etwas davon sagen können?
›Das soll wohl ein Witz sein!‹ rief er wütend. ›Na, die werden sich wundern! Schließlich bist du eine verheiratete Frau und hast ein Kind. Wie fällt denen ein, dich lesbisch zu nennen? Eine Unverschämtheit. Das lasse ich nicht auf uns sitzen.‹
Glücklicherweise gelang es mir, ihm eine Auseinandersetzung mit den Leuten auszureden, denn das hätte alles nur noch schlimmer für uns gemacht. Mir war klar, daß das Mädchen krank war, denn ich hatte schon viele kranke Menschen gesehen und kannte mich aus. Dieses Mädchen war durch und durch verdorben. Hätte man ihr die schöne Haut abgezogen, wäre das verdorbene Fleisch zum Vorschein gekommen. Das hört sich grauenvoll an, aber so ist es. Ich wußte jedoch auch, daß niemand das begreifen würde, daß wir also nicht die geringste Chance hatten. Das Mädchen war sehr erfahren darin, die Gefühle von Erwachsenen zu manipulieren, und wir hatten keinerlei Beweise in der Hand. Wer würde schon glauben, daß ein dreizehnjähriges Mädchen versucht hatte, eine einunddreißigjährige Frau homosexuell zu mißbrauchen? Wir konnten sagen, was wir wollten, und die Leute würden doch glauben, was sie wollten. Jeder Versuch, die Sache aufzuklären, würde alles nur verschlimmern.
Ein Umzug war die einzige Rettung. Ich bemühte mich, das meinem Mann klarzumachen. Bliebe ich diesem entsetzlichen Druck noch länger ausgesetzt, bestünde die Gefahr, daß ich wieder durchdrehte. Es finge bereits an. Wir müßten irgendwohin weit weg, wo mich niemand kannte. Aber mein Mann war dazu nicht bereit, er hatte einfach noch nicht erkannt, wie kritisch mein Zustand war. Er fühlte sich wohl an seinem Arbeitsplatz, wir hatten endlich ein kleines Eigenheim, auch wenn es nur ein Fertighaus war, und unsere Tochter hatte sich im Kindergarten gut eingelebt. Er bat mich, Geduld zu haben, wir könnten doch nicht so mir nichts dir nichts umziehen. Wie sollte er so schnell eine neue Stelle finden? Das Haus müßte verkauft werden und die Kleine in einen anderen Kindergarten gehen. Im allergünstigsten Falle bräuchten wir mindestens zwei Monate dazu.
So lange könne ich nicht warten, erklärte ich ihm. Ein weiteres Mal würde ich mich nicht erholen, und das sei keine leere Drohung, sondern die bittere Realität. Schließlich kannte ich mich. Es fing schon an, daß mir die Ohren dröhnten, daß ich Stimmen hörte und nicht mehr schlafen konnte. Mein Mann schlug mir vor, erst einmal allein umzuziehen. Er würde nachkommen, sobald alles geregelt sei.
Aber das wollte ich nicht. Einmal von ihm getrennt, wäre ich sofort zusammengebrochen, so sehr brauchte ich ihn. Als ich ihn anflehte, mich nicht allein zu lassen, nahm er mich in die Arme und redete mir gut zu. Ich solle noch ein bißchen durchhalten, nur einen Monat. In dieser Zeit wollte er alles erledigen: kündigen, das Haus verkaufen, einen neuen Kindergarten für unsere Tochter und einen neuen Arbeitsplatz für sich ausfindig machen. Er hatte sogar Aussicht auf eine Stelle in Australien. Nur einen Monat. Was hätte ich da noch sagen können? Jeder Protest hätte mich nur noch mehr von ihm entfernt.«
Reiko seufzte und richtete den Blick zur Deckenlampe.
»Aber ich hielt keinen Monat mehr durch. Eines Tages rastete etwas in meinem Kopf aus – Peng. Es war wieder soweit, nur diesmal kam es noch viel schlimmer. Ich nahm Schlaftabletten und drehte den Gashahn auf. Statt im Jenseits fand ich mich jedoch in einem Krankenhausbett wieder. Das war das Ende. Als ich mich nach ein paar Monaten ein wenig erholt hatte, bat ich meinen Mann um die Scheidung. Ich fand, es sei das Beste für ihn und unsere Tochter, aber natürlich wollte er nichts davon wissen.
›Wir fangen noch einmal von vorne an‹, sagte er. ›Wir gehen irgendwo anders hin, nur wir drei, und machen einen ganz neuen Anfang.‹
›Es ist zu spät‹, erklärte ich ihm. ›Alles war in dem Moment entschieden, als du von mir verlangt hast, noch einen Monat zu warten. Hättest du wirklich neu anfangen wollen, hättest du damals auf mich hören müssen. Ganz gleich, wohin und wie weit wir fortgehen, es wird immer wieder geschehen. Und ich werde dich immer wieder um das gleiche bitten müssen und euch unglücklich machen. Das will ich nicht.‹
Also
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