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Naokos Laecheln

Naokos Laecheln

Titel: Naokos Laecheln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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jetzt noch, wenn ich daran denke. Als erstes haben sie mir gesagt, ich solle Marx lesen. Von Seite sowieso bis Seite sowieso vorbereiten. Dann gab’s einen Vortrag über die Beziehung von Volksliedern zur Gesellschaft und zur radikalen Bewegung. Also blieb mir nichts anderes übrig, als nach Hause zu gehen und fleißig Marx zu lesen. Natürlich verstand ich kein Wort. Noch weniger als den Konjunktiv. Nach drei Seiten gab ich auf. Beim nächsten Treffen sagte ich ganz tapfer, daß ich die Seiten zwar gelesen, aber nicht verstanden hätte. Von da an war ich das Dummerchen. Mir fehle jedes gesellschaftliche Problembewußtsein. Im Ernst! Nur weil ich einen Text nicht verstanden hatte. Ist das nicht fürchterlich?«
    »Doch.«
    »Und ihre Diskussionen waren genauso fürchterlich. Alle machten kluge Gesichter und benutzten schwierige Wörter. Wenn ich etwas nicht verstand, fragte ich. ›Was bedeutet imperialistische Ausbeutung? Hat das was mit der Ostindischen Kompanie zu tun?‹ oder ›Heißt Zerschlagung des industriellen Ausbildungssystems, daß wir nach der Uni nicht für eine Firma arbeiten dürfen?‹ Und so. Aber niemand ließ sich dazu herab, mir was zu erklären. Im Gegenteil, sie wurden richtig sauer auf mich. Kannst du dir das vorstellen?«
    »Kann ich«, sagte ich.
    »Wie man nur so blöd sein und trotzdem weiterleben könne, schrie mich einer an. Da reichte es mir, das wollte ich mir nicht gefallen lassen. Na schön, dann bin ich eben nicht besonders intelligent. Ich stamme aus dem Volk. Aber es ist das Volk, das die Welt am Laufen hält, und es ist das Volk, das ausgebeutet wird. Mit Worten um sich schmeißen, die das Volk nicht versteht – das soll eine Revolution sein? Kann man damit die Gesellschaft verändern? Ich würde auch gern die Welt verbessern. Wenn jemand wirklich ausgebeutet wird, dann müssen wir das abstellen. Davon bin ich überzeugt, und deshalb stelle ich ja auch Fragen. Hab ich da recht?«
    »Ja.«
    »Damals wurde mir was klar. Heuchler waren das, die ganze Bande. Sie hatten nichts anderes im Sinn, als mit ihrem wichtigtuerischen Gerede die neuen Mädchen zu beeindrucken und ihnen unter den Rock zu greifen. Im achten Semester schneiden sie sich dann die Haare kurz und gehen auf Stellensuche bei Mitsubishi, IBM oder der Fuji-Bank. Dann heiraten sie eine Frau, die nie Marx gelesen hat, und kriegen Kinder, denen sie zum Kotzen widerwärtige, neumodische Namen geben. ›Zerschlagung des industriell monopolisierten Ausbildungssystems‹! Zum Totlachen! Die anderen neuen Gruppenmitglieder waren genauso blöd. Von denen hat auch keiner ein Wort verstanden, die haben aber so getan, mich ausgelacht und mir geraten, doch einfach immer nur ja zu sagen, auch wenn ich nichts verstünde. Ach, da fällt mir noch was ein, willst du’s hören?«
    »Klar.«
    »Einmal setzten sie für spätabends eine politische Versammlung an, und jedes Mädchen sollte für den Mitternachtsimbiß zwanzig gefüllte Reisbällchen mitbringen. Ohne Witz! So viel zur Gleichberechtigung. Zur Abwechslung hielt ich mal den Mund und machte brav zwanzig Reisbällchen, gefüllt mit sauren Pfläumchen und mit Seetang umwickelt, wie’s sich gehört. Und weißt du, was sie dazu sagten? Sie haben gemeckert, daß meine Reisbällchen nur mit Umeboshi gefüllt waren und ich keine Beilage mitgebracht hatte! Die anderen Mädchen hatte ihre mit Lachs oder Dorschrogen gefüllt und dicke, gerollte Omeletts dazu mitgebracht. Vor Wut blieb mir die Spucke weg. Wie kommen diese Sonntagsrevoluzzer dazu, sich über Reisbällchen in Seetang zu beschweren! Dankbar sollten die sein für Seetang und Pfläumchen – an die hungernden Kinder in Indien denken.«
    Ich mußte lachen. »Und wie geht die Geschichte weiter?«
    »Im Juni bin ich ausgetreten, so gingen die mir auf die Nerven. Die meisten Typen von der Uni sind komplette Heuchler. Sie machen sich fast in die Hose vor Schiß, jemand könnte herausfinden, daß sie irgendwas nicht wissen. Sie lesen alle die gleichen Bücher, benutzen die gleichen Wörter, hören John Coltrane und sehen Pasolini-Filme. Und das soll revolutionär sein?«
    »Keine Ahnung. Mich darfst du nicht fragen, ich hab noch nie eine echte Revolution gesehen.«
    »Wenn das die Revolution ist, können sie sie sich an den Hut stecken. Wahrscheinlich würden sie mich sowieso erschießen, weil ich Reisbällchen mit sauren Pfläumchen fülle. Dich auch, weil du den Konjunktiv kapierst.«
    »Könnte passieren«, sagte ich.
    »Ich weiß

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