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Naokos Laecheln

Naokos Laecheln

Titel: Naokos Laecheln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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brachte er anscheinend nicht heraus.
    »Da kann man nichts machen. Schließlich wurdest du gerade operiert. Du Armer, kannst du es noch ein bißchen aushalten?« fragte Midori. »Das ist Tōru Watanabe, ein Freund von mir.«
    »Freut mich«, sagte ich. Der Vater öffnete halb die Lippen, um sie sofort wieder zu schließen.
    »Setz dich doch da hin.« Midori zeigte auf einen runden Plastikhocker am Fußende des Bettes. Ich gehorchte. Sie gab ihm etwas Wasser zu trinken und fragte ihn, ob er vielleicht etwas Obst oder Götterspeise essen wolle. »Nein«, wisperte der Vater. Als Midori ihn drängte, doch etwas zu essen, brachte er mühsam hervor, er habe schon gegessen. Neben seinem Bett stand in Höhe des Kopfkissens ein Tischchen mit einer Wasserflasche, einem Glas, einem Teller und einem kleinen Wecker. Aus einer großen Papiertüte darunter holte Midori einen frischen Schlafanzug, Unterwäsche und dergleichen, strich die Sachen glatt und räumte sie in einen Spind neben der Tür. Ganz unten in der Tüte lagen Lebensmittel für den Kranken: zwei Grapefruits, Götterspeise und drei Gurken.
    »Gurken?« wunderte sich Midori. »Was meine Schwester sich wohl dabei gedacht hat? Wo ich ihr doch am Telefon genau gesagt habe, was sie einkaufen soll. Von Gurken habe nichts gesagt.«
    »Vielleicht hat sie dich falsch verstanden?« sagte ich.
    »Kann sein. Aber wenn sie ein bißchen mitgedacht hätte, wäre sie darauf gekommen, daß ein Kranker keine Gurken ißt. Oder möchtest du ein Stück Gurke, Papa?«
    »Nein.«
    Midori setzte sich zu ihrem Vater ans Bett und plauderte mit ihm. Das Bild von ihrem Fernseher zu Hause hatte sich plötzlich verschlechtert, und sie hatte die Reparaturwerkstatt angerufen; eine Tante aus Takaido wollte ihn in zwei oder drei Tagen besuchen kommen; und Herr Miyawaki, der Apotheker, war mit dem Rad gestürzt. Ihr Vater antwortete mit umhm, umhm.
    »Willst du wirklich nichts essen, Papa?«
    »Nein.«
    »Möchtest du eine Grapefruit, Tōru?«
    »Nein, danke.«
    Anschließend gingen Midori und ich in den Fernsehraum, damit sie rauchen konnte. Drei Patienten saßen dort in ihren Schlafanzügen, rauchten und sahen sich eine politische Diskussion im Fernsehen an.
    »Psst«, machte Midori vergnügt. »Der Alte mit den Krücken stiert mir schon die ganze Zeit auf die Beine. Der mit der Brille und dem blauen Schlafanzug.«
    »Kein Wunder, bei dem Rock.«
    »Ist doch nett. Denen ist bestimmt langweilig, und es tut ihnen gut, wenn sie ein junges Mädchen zu sehen kriegen. Vielleicht hilft ihnen die Erregung sogar, schneller gesund zu werden.«
    »Wenn nicht der gegenteilige Effekt eintritt«, sagte ich.
    Midori beobachtete eine Weile den gerade aufsteigenden Rauch ihrer Zigarette.
    »Weißt du, mein Vater ist gar kein so übler Kerl. Manchmal nervt er mich, weil er üble Sachen sagt, aber im Grunde ist er ein ehrlicher Mensch, und er hat meine Mutter wirklich geliebt. Er hat sein Bestes getan. Vielleicht ist er ein bißchen charakterschwach, nicht geschäftstüchtig und nicht besonders beliebt, aber im Vergleich zu diesen raffinierten Schlawinern, die mit allem durchkommen, ist er ein wirklich guter Kerl. Ich bin genauso stur wie er, deshalb streiten wir uns oft, aber im Grunde ist er kein übler Kerl.«
    Midori griff nach meiner Hand, als höbe sie etwas auf, das sie auf der Straße hatte fallen lassen, und legte sie auf ihren Schoß. Die Hälfte meiner Hand lag auf ihrem Rock, die andere Hälfte auf ihrem Oberschenkel. Sie sah mir lange in die Augen.
    »Du, Tōru? Es ist zwar nicht schön hier, aber bleibst du noch ein bißchen mit mir hier?«
    »Ich kann bis fünf bleiben«, sagte ich. »Ich bin gern mit dir zusammen. Außerdem habe ich sonst nichts zu tun.«
    »Was machst du denn normalerweise am Sonntag?«
    »Waschen. Und dann bügeln.«
    »Du möchtest mir wohl nicht mehr über deine Freundin erzählen?«
    »Eigentlich nicht. Es ist zu kompliziert, und ich könnte es dir nicht richtig erklären.«
    »Ist schon in Ordnung. Du brauchst mir nichts zu erklären. Soll ich dir mal erzählen, was ich vermute?«
    »Ja, nur zu. Was du so vermutest, ist bestimmt höchst interessant.«
    »Also, ich glaube, deine Freundin ist verheiratet.«
    »Ach ja?«
    »Sie ist zweiunddreißig oder dreiunddreißig, reich und schön, trägt Pelzmäntel, Schuhe von Charles Jourdan und seidene Dessous. Außerdem ist sie völlig ausgehungert nach Sex und tut gern richtig unanständige Dinge. Ihr trefft euch nachmittags an Wochentagen

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