Narben
Sie hat nach Ihnen gefragt, Doktor. Ich dachte, sie phantasierte und wollte aus irgendeinem Grund nach Delaware.« Er schüttelte den Kopf. »Wie geht es ihr?«
»Körperlich ist sie auf dem Weg der Besserung. Haben Sie sie hergebracht?«
Er nickte. »Hat sie so was schon mal gemacht?«
»Meines Wissens nicht.«
»Was passiert denn jetzt mit ihr?«
»Sie muß mindestens drei Tage hierbleiben. Inzwischen wird eine Psychiaterin einen Behandlungsplan aufstellen.«
»Kann sie denn gegen ihren Willen festgehalten werden?«
»Wenn die Psychiaterin, Dr. Embrey, glaubt, daß sie noch in Gefahr ist, kann sie sich ans Gericht wenden und eine Verlängerung beantragen. Das geschieht jedoch selten, es sei denn, die Patientin unternimmt noch im Krankenhaus einen weiteren Selbstmordversuch oder bricht auf andere Weise massiv zusammen.«
»Wie ist es dazu gekommen, Doktor? War sie deprimiert?«
»Tut mir leid, aber darüber kann ich nicht sprechen. Das ist vertraulich.«
»Oh, natürlich. Entschuldigung. Es ist nur so, daß ich kaum etwas über sie weiß. Eigentlich kenne ich sie überhaupt nicht. Ich hatte sie seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen.«
»Wie kommt es dann, daß Sie sie eingeliefert haben?«
»Das war purer Zufall. Es war ziemlich gruselig. Ich wollte zu Peter, meinem Halbbruder. Wir waren zum Essen verabredet, um sieben in meinem Hotel, aber er tauchte nicht auf. Ich machte mir Sorgen. Ich glaubte nicht, daß er einfach nicht kommen würde. Ich wartete eine Weile, dann fuhr ich zu seiner Wohnung in Studio City. Da war er auch nicht. Er hatte mir erzählt, wie nahe Lucy und er sich stünden; also dachte ich, er wäre vielleicht bei ihr. Als ich dort ankam, war es nach zehn, und wenn nicht die Lichter an und die Vorhänge halb geöffnet gewesen wären, wäre ich gar nicht hoch gegangen. Als ich vor der Tür stand, roch ich Gas. Ich klopfte, niemand antwortete. Dann schaute ich durchs Fenster und sah sie auf dem Küchenboden, auf den Knien. Ich klopfte an das Fenster, doch sie rührte sich nicht; da brach ich die Tür auf und zog ihren Kopf aus dem Ofen. Ich konnte ihren Puls fühlen, und sie atmete noch, aber sie sah gar nicht gut aus. Ich rief einen Krankenwagen. Es dauerte eine Ewigkeit, bis ich durchkam. Ich wartete und wartete, dann schlug ich im Telefonbuch nach und fand dieses Krankenhaus. Als sie nach einer halben Stunde noch nicht da waren, verlor ich die Geduld und brachte sie selbst her.«
»Sie sind aus San Francisco?«
»Woher wissen Sie das?«
»Lucy hat mir davon erzählt.«
»Sie hat von mir gesprochen?«
»Ich kenne die Familiengeschichte.«
»Ach so. Eigentlich wohne ich in Palo Alto, aber ich bin geschäftlich recht oft in L. A. - Immobilien, meistens Konkursmasse und andere Versteigerungen. In der jetzigen Flaute bin ich öfter hier als gewöhnlich, also dachte ich, warum setze ich mich nicht mal mit Peter und Lucy in Verbindung? Das hätte ich schon längst tun sollen. Lucy steht nicht im Telefonbuch, aber Peter konnte ich ausfindig machen. Vor ein paar Wochen rief ich ihn dann an. Er war richtig erschrocken, daß ich mich meldete. Es war eigenartig. Wir telefonierten noch einigemal miteinander, und dann verabredeten wir uns zum Essen.«
»Mit Lucy?«
»Nein, das wollte Peter nicht. Er fühlt sich als ihr Beschützer, nehme ich an. Er wollte erst sehen, wie es klappte mit uns, bevor wir Lucy etwas erzählten. Es war ein ziemliches Hin und Her, doch als er nicht kam, war ich trotzdem überrascht.«
»Haben Sie inzwischen von ihm gehört?«
»Nein. Ich habe ein paarmal versucht, ihn von hier aus zu erreichen, doch er ist nicht zu Hause.« Er schaute auf die Uhr.
»Vielleicht versuche ich es jetzt noch mal.«
Am Ende des Korridors gab es ein Münztelefon. Er wählte, wartete und kam kopfschüttelnd zurück.
»Das arme Kind.« Er schaute auf Lucys Tür. »Peter hat mir erzählt, sie hätte etwas ziemlich Übles hinter sich, als Geschworene in einem Mordprozeß, und sei mit den Nerven fertig, aber ich hatte keine Ahnung, daß sie… so weit war.«
Er knöpfte sein Jackett zu. Es spannte sich über dem Bauch.
»Zu viele Geschäftsessen«, erklärte er reuig lächelnd, bevor er wieder auf Lucy zu sprechen kam. »Nicht daß ich glaubte, sie hätte es je leicht gehabt. Hat sie Ihnen erzählt, wer ihr Vater ist?«
»Ja.«
»Ich weiß nicht, ob sie mit ihm Kontakt hat, aber wenn ja, dann ist das bestimmt eines ihrer Probleme.«
»Warum meinen Sie das?«
»Der Mann ist ein
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