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Narben

Narben

Titel: Narben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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totaler, unverbesserlicher Schweinehund.«
    »Haben Sie denn Kontakt mit ihm?«
    »Nein, danke. Er lebt hier in der Gegend, oben im Topanga Canyon. Ein Riesengrundstück. - Nein, den Besuch erspar ich mir lieber. Als ich im Immobiliengeschäft anfing, träumte ich davon, ihm das Land eines Tages, wenn er pleite wäre, für ein paar Dollar abzuknöpfen.« Er lächelte. »Ich hab übrigens selbst gerade eine Therapie hinter mir. Ich bin seit einem Jahr geschieden.«
    »Was geschah vor zwanzig Jahren?«
    »Bitte?«
    »Sie sagten, das letztemal hätten Sie Lucy vor zwanzig Jahren gesehen.«
    »Ach so, ja, vor zwanzig oder einundzwanzig Jahren. Ich war neun, das heißt, es müssen also einundzwanzig Jahre sein. Es war in dem Sommer, als meine Mutter beschloß, nach Europa zu gehen und Malunterricht zu nehmen. Sie fuhr uns - meine Schwester Jodie und mich - nach Los Angeles und setzte uns im Sanktum ab. So hieß sein Reich in Topanga.«
    »Ich habe davon gehört. Eine Art Schriftsteller-Kolonie.«
    »Genau. Wie auch immer, meine Mutter lud uns bei ihm ab, ohne Vorwarnung. Sie können sich vorstellen, wie glücklich er darüber war, aber er konnte uns schließlich nicht rausschmeißen.«
    »Und Lucy war auch dabei?«
    »Lucy und Peter kamen zwei Wochen nach uns. Zwei winzige Kinder. Wir wußten nicht, wer sie waren. Unsere Mutter hatte uns nicht mal erzählt, daß sie überhaupt existierten. Wir wußten nur, daß er sie sitzengelassen hatte, um eine andere Frau zu heiraten. - Dann hörten wir, daß die Mutter der beiden Zwerge vor fünf Jahren gestorben war und daß die Tante, die sich um sie kümmerte, geheiratet und sie ebenfalls im Sanktum abgeladen hatte.«
    »Wie alt waren die beiden da?«
    »Mal sehen: Ich war neun, also muß Peter fünf gewesen sein und Lucy vier. Für uns waren es Babys; wir kümmerten uns nicht um sie. Um ehrlich zu sein, wir konnten sie nicht ausstehen. Unsere Mutter war ständig über ihre Mutter hergezogen, weil sie ihr den Mann weggenommen hatte.«
    »Und wer kümmerte sich um sie?«
    »Irgendein Kindermädchen oder eine Babysitterin. Sie schliefen mit ihr im Hauptgebäude, während Jodie und ich in einer Hütte zurechtkommen mußten, ganz allein. Aber wenigstens konnten wir herumrennen und tun, was wir wollten.«
    »Vor einundzwanzig Jahren - das muß kurz nach der Eröffnung des Sanktums gewesen sein.«
    »Direkt danach. Ich weiß noch, zur Eröffnung gab es eine riesige Party. Man gab uns etwas zu essen und sperrte uns in unserer Hütte ein. Sie hatten lange weiße Tische mit tonnenweise Essen darauf. Wir aßen wochenlang Reste davon. Manchmal schlich ich mich in die Küche und naschte an den Sahnetorten. Ich nahm zehn Pfund zu und hatte seitdem immer Gewichtsprobleme.«
    Ich höre Stimmen. Rufe, vielleicht auch Lachen… und Lichter, wie Glühwürmchen.
    Er schaute wieder auf seine Uhr. »Also, wenn ich etwas tun kann, lassen Sie von sich hören.«
    »Wie lange bleiben Sie in L. A.?«
    »Eigentlich wollte ich heute abend zurückfliegen. Glauben Sie, Lucy möchte mich sehen?«
    »Das ist schwer zu sagen. Sie ist immer noch nicht richtig bei sich.«
    »Ich verstehe. Ich frage mich, wo Peter ist und warum er nicht gekommen ist. - Hier.«
    Er zog eine Krokodilledermappe aus der Tasche und gab mir eine seiner Geschäftskarten.
    »Ich bin heute den ganzen Tag in Besprechungen, aber wahrscheinlich kann ich bis morgen früh bleiben. Wenn sie mich sehen will oder wenn Sie von Peter hören, bin ich in meinem Hotel, im Westwood Marquis, zu erreichen.«
    »Haben Sie Peters Telefonnummer dabei?«
    Er zog eine zweite, identische Karte aus der Mappe. Auf der Rückseite war eine Nummer notiert.
    »Ich hole mir ein Blatt Papier und schreibe sie ab«, bot ich an.
    »Nein, behalten Sie sie nur. Ich kenne sie auswendig.«

10
    Als er weg war, schaute ich nach Lucy. Sie schlief noch immer. Ich gab der Stationssekretärin eine Nachricht für Dr. Embrey, dann rief ich Milo an. Ich erwischte ihn an seinem Schreibtisch.
    »Was gibt’s, Alex?«
    »Lucy hat gestern abend versucht, sich umzubringen. Sie ist zwar außer Gefahr, aber ziemlich mitgenommen. Ich bin im Woodbridge Hospital, draußen im Tal. Sie werden sie hierbehalten.«
    »Verdammt! Hat sie sich die Pulsadern aufgeschnitten?«
    »Sie hat den Kopf in den Backofen gesteckt.«
    »Scheiße. Hast du sie gefunden?«
    »Nein, ein Verwandter von ihr. Er dachte, er würde ihren Bruder bei ihr finden. Er schaute durchs Fenster und sah sie in der Küche auf dem

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