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Narben

Narben

Titel: Narben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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rechte Finger hob sich.
    »Sehr gut. Du bist in dem Haus und willst rausgehen. Warum erzählst du mir nicht in deinen eigenen Worten, was passiert?«
    Sie rutschte herum und faßte sich an die Nase. Sie schniefte, blinzelte und öffnete kurz die Augen, doch sie sah mich nicht.
    »Ich schlafe… ich gehe… Tür… Wald. Raus, raus, raus…«
    Sie zog eine Grimasse. Ihr Atem wurde schneller.
    »Entspann dich Lucy. Du erinnerst dich, an was du dich erinnern willst, und siehst, was du sehen willst… Gut, sehr gut. Tief atmen, ganz gleich, was du siehst oder hörst, riechst oder berührst, du bist ganz entspannt, siehst dich im Fernsehen, sicher und ruhig und ganz unter Kontrolle… Gut, und nun erzähle.«
    »Draußen… Lichter. Leute schreien… Nicht meine Schuld…«
    Sie seufzte; der Kopf fiel ihr auf die Brust. Sie sagte etwas, das ich nicht verstehen konnte. Ich rückte näher und nahm ihre Hand. Ihr Puls war langsam und beständig, die Wangen rosig, der Handrücken warm.
    »Ich gehe. Bäume… schön.«
    Dann sagte sie für eine Weile nichts mehr, doch ihr Kopf rollte hin und her. Die Augäpfel verrieten starke Traumaktivität.
    Sie lief auf der Stelle. Betrachtete sie die Landschaft? Plötzlich erkaltete ihre Hand.
    »Was siehst du, Lucy?«
    »Vater.«
    »Du siehst Vater auf dem Bildschirm?«
    Sie drückte meine Hand. Dann hob sie den rechten Zeigefinger; mit den übrigen Fingern hielt sie mich fest.
    »Ganz entspannt, Lucy, ganz ruhig.«
    Ihr Atem wurde langsamer, dafür laut und röchelnd.
    »Du kannst weggehen, Lucy, du kannst den Fernseher abschalten, wann immer du willst.«
    Sie knurrte und ließ den linken Zeigefinger mehrere Sekunden lang oben.
    »Du willst also bleiben.« Rechter Zeigefinger.
    »Gut, dann mach weiter. Tu, was du tun willst, und erzähl mir, was du erzählen willst.«
    Langes Schweigen, dann sagte sie: »Vater… Männer… tragen eine Frau. Schöne Frau, wie Mama… dunkles Haar. Schön… Sie tragen sie.«
    Sie brach wieder ab. Ihr Puls wurde schneller.
    »Auch andere Männer?« fragte ich.
    Rechter Finger. Die Hand blieb kalt. Unter dem Haaransatz bildete sich Schweiß und rann ihre Wangen hinab. Sie schien es nicht zu merken, als ich ihn abwischte.
    »Du schaust nur zu«, flüsterte ich, »dir kann nichts passieren.«
    »Zwei Männer.«
    »Wie sehen sie aus?« Schweigen.
    »Kannst du sie sehen?«
    »Sie tragen die Frau.«
    »Sagt die Frau etwas?« Linker Finger.
    »Was hat sie an?«
    »Bluse… weiße Bluse… Rock.«
    »Welche Farbe?«
    »Weiß.«
    »Eine weiße Bluse und einen weißen Rock. Und die Schuhe? Hat sie Schuhe an?«
    Linker Finger. »Zehen.«
    »Du siehst ihre Zehen?« Rechter Finger.
    »Kannst du ihr Gesicht sehen?«
    »Schön. Sie schläft.«
    »Sie schläft?«
    Verwirrung. »Bewegt sich nicht.«
    »Sie bewegt sich gar nicht?« Rechter Finger.
    »Du meinst also, sie schläft?«
    »Sie tragen sie.«
    »Die Männer tragen sie. Auch dein Vater?« Linker Finger. »Haare… Haarige Lippe.«
    »Ein Mann mit einer haarigen Lippe trägt sie?« Ich dachte an Terry Trafficants Ziegenbart.
    Sie hob den rechten Zeigefinger.
    »Kannst du die Männer jetzt sehen?«
    Sie rieb sich das Gesicht. »Haarige Lippe… anderer Mann… Rücken.«
    »Der andere Mann hat dir den Rücken zugekehrt. Du siehst seinen Rücken?«
    Rechter Finger.
    »Kannst du sehen, was die Männer anhaben?«
    »Vater… weißer Mantel… bis auf den Boden.«
    »Ein langer weißer Mantel. Eine Robe. Wie ein Mönch?« Rechter Finger.
    »Und die anderen Männer?«
    »Dunkle Kleider.«
    »Beide?«
    Rechter Finger. »Draußen… auch dunkel.«
    »Es ist dunkel, du kannst nicht gut sehen. Aber du siehst Vaters weiße Robe und die weiße Bluse der Frau. Die anderen beiden Männer tragen dunkle Kleider.«
    Sie kniff die Augen zusammen, wie um besser zu sehen. Ihr Körper spannte sich an, sie setzte sich aufrecht.
    »Schaufel… graben… Vater hält die Frau. Haarige Lippe und der andere Mann graben. Graben schnell, graben und graben. Vater hält die Frau… schwer. ›Schwer‹, sagt Vater, ›beeilt euch, verdammt!‹ Wütend… legt sie hin…«
    Sie schüttelte den Kopf. Der Schweiß floß in Strömen. Ich tätschelte ihre Hand. »Vater legt die Frau auf den Boden?«
    Rechter Finger.
    »Graben… graben immer tiefer… ›Rollt sie rein!‹« Ihre Stimme wurde tief: »›Rollt sie schon rein, macht schon!‹«
    »Du schaust nur zu, Lucy, es ist nur ein Bildschirm. Du bist in Sicherheit…«
    Ihre Fingernägel gruben

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