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Narben

Narben

Titel: Narben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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sich in meine Hand. Dann sagte sie mit Kinderstimme: »Die Frau… ist weg. Die Frau ist weg! Die Frau! Die Frau!«

25
    Sie schwieg und rührte sich nicht mehr, während ich den Kalender zur Gegenwart zurückblätterte.
    Bevor ich sie aufweckte, gab ich ihr posthypnotische Anweisungen, sich erfrischt und erfolgreich zu fühlen und sich weiterhin an alles zu erinnern, was in jener Nacht geschehen war.
    Sie wachte lächelnd und gähnend auf. »Ich weiß nicht genau, was passiert ist, aber ich fühle mich ausgezeichnet.«
    Ich ließ sie sich strecken und herumlaufen, bevor ich die Sitzung für sie rekapitulierte.
    »Drei Männer«, sagte sie, als ich fertig war.
    »Einer von ihnen hatte eine ›haarige Lippe‹.«
    »Einen Schnurrbart also. Ich kann mich nicht richtig daran erinnern - eigentlich kann ich mich an gar nichts erinnern -, aber ich habe das bestimmte Gefühl, daß es keine Einbildung ist. Verstehen Sie?«
    »Vollkommen.«
    »Können wir es noch mal machen und versuchen, mehr auszugraben?«
    »Ich glaube, für heute reicht es.«
    »Und wie wäre es mit morgen?«
    »Von mir aus, ja, einverstanden. Aber nur, wenn Sie mir versprechen, bis dahin nichts auf eigene Faust zu versuchen.«
    »Ich verspreche es. Kann ich jetzt das Foto von Karen sehen?«
    Ich holte den Zeitungsausschnitt aus meinem Schreibtisch.
    Als sie das Foto sah, begannen ihre Hände zu zittern. Sie starrte es an. Erst als sie zu lesen anfing, hörte das Zittern auf, doch ihr Gesicht blieb leichenblaß. Weinend gab sie mir das Blatt zurück.
    Um vier fuhr ich zum Sand Dollar.
    Die Filmcrew war wieder da. Auf dem Sand posierte eine blonde Strandnixe im schwarzen Tanga mit einer schwitzenden Dose Bier.
    Ich ging ins Restaurant. Doris Reingold war an der Bar. Als sie mich sah, rutschte sie von ihrem Hocker runter. »Tag, junger Mann. Das ging ja schnell.«
    Sie führte mich zu einem Tisch in der Nähe des Fensters. Ich war der einzige Gast. Die blonde Göttin am Strand lächelte auf Kommando, warf ihr Haar zurück und drehte sich langsam wie ein Grillhähnchen.
    »Gefällt Ihnen die Aussicht?« Doris stand mit ihrem Bestellblock neben mir.
    »Was würden wir nur machen ohne Hollywood?«
    Sie lachte. »Schön, daß Sie wiedergekommen sind. Wie war’s mit einem frühen Abendessen? Wir haben eben frischen Heilbutt reinbekommen.«
    »Nein, ich möchte nur eine Kleinigkeit. Was haben Sie denn heute für Kuchen?«
    »Mal sehen.« Sie ging die Liste auf ihrem Block durch. »Apfelkuchen, Schokoladencreme oder Nuß?«
    »Dann nehm ich Apfelkuchen mit Vanilleeis.«
    Sie brachte mir ein großes Stück mit zwei Kugeln Eis.
    »Setzen Sie sich doch zu mir«, bat ich sie.
    »Warum nicht? Marvin kommt so bald nicht zurück.«
    Sie schenkte sich Kaffee ein, setzte sich auf die Bank mir gegenüber und zündete sich eine Zigarette an. Sie schaute zu der Blondine hinaus. »Mädchen wie die werden entweder sehr reich oder sehr unglücklich.«
    »Oder beides.«
    »Natürlich, das eine schließt das andere nicht aus.«
    »Ich war übrigens in dem Surferladen, der Ihren Freunden gehört, und habe den Sohn gesehen. Sehr traurig.«
    Sie paffte und musterte mich aus ihrer Rauchwolke heraus.
    »Wie sind Sie denn dahingekommen?«
    »Ich brauchte eine Badehose, und als ich zufällig dort vorbeikam, erinnerte ich mich, daß Sie ihn erwähnt hatten. Ein netter Laden. Ich frage mich nur, wie die Leute sich davon ein Haus am Strand leisten können.«
    Sie zuckte die Schultern und schaute verdrossen auf den Aschenbecher.
    »Aber trotzdem«, schwatzte ich weiter, »kein Geld der Welt kann dafür entschädigen, was sie mit ihrem Jungen durchzumachen haben. Er ist Spastiker, oder?«
    »Bei seiner Geburt ist etwas schiefgegangen.«
    »Wie alt ist er?«
    »Sechzehn, glaub ich. Ja, es ist hart, aber haben wir nicht alle unser Kreuz zu tragen?«
    Sie rauchte mechanisch und starrte mich unverhohlen an. Ich aß harmlos meinen Kuchen.
    Als sie ihre Zigarette zur Hälfte geraucht hatte, drückte sie den Rest aus und sah zu, wie der Stummel weiterqualmte. »Es tut mir ja auch leid um die drei. Sie sind ein gutes Beispiel dafür, was Sie eben gesagt haben: Geld macht nicht glücklich.« Sie schaute zu der Filmmannschaft hinunter. »Nur: Warum interessieren Sie sich so für Gwen und Tom, junger Mann?« Aus ihrer Stimme war alle Freundlichkeit verschwunden.
    »Ach, nur so. Kein besonderer Grund.«
    »Sind Sie eine Art Schuldeneintreiber oder ein Bulle?«
    »Keins von beiden.«
    »Was sind Sie

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