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Narben

Narben

Titel: Narben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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zurück. Doch letzte Nacht hat sie mir einen kleinen Schrecken eingejagt. Sie stand auf dem Treppenabsatz und sah aus, als wollte sie jeden Moment springen. Ich versuchte sie zu wecken, umsonst. Sie ließ sich in ihr Zimmer führen, doch es war eher, als ob man eine Schaufensterpuppe herumschiebt. Ich habe ihr nichts davon erzählt, weil sie sich nicht aufregen soll.
    - Außerdem wollte ich Sie fragen, ob etwas dran sein könnte an diesem Traum. Ich meine, er war nicht gerade ein Mustervater, aber daß er ein Mörder sein soll -«
    »Können Sie sich denn an diese Nacht erinnern?«
    »Leider nicht. Ich weiß noch, es gab eine Party. Es ging hoch her. Jodie und ich saßen in unserer Hütte und durften nicht raus. Ich kann mich auch erinnern, daß ich durch die Vorhänge schaute und Leute lachen, schreien und tanzen sah. Manche hatten die Gesichter bemalt. Es war unheimlich laut. Es gab Livemusik von verschiedenen Rockbands.«
    »Sie haben also nichts gesehen, was irgendwie mit Lucys Traum zusammenpaßt?«
    »Drei Männer, die ein Mädchen verschleppen? Nein, nur Paare, die sich zusammen verdrückten. Jodie sagte: ›Rate mal, was die machen?‹ Sie war elf und sehr interessiert an solchen Dingen.«
    »Können Sie sich an Lucys und Peters Kindermädchen erinnern?«
    »Wenn ich es bedenke, war sie vielleicht gar kein richtiges Kindermädchen. Sie trug die gleiche Uniform wie die Kellner und Kellnerinnen - schneeweiß. Ich weiß natürlich nicht, ob solche Erinnerungen überhaupt genau sein können, aber wenn wirklich etwas passiert ist… Kann ich irgendwas tun, was Lucys Schlafwandelei angeht?«
    »Es wäre gut, wenn Sie darauf achten könnten, daß in ihrem Schlafzimmer keine scharfen Gegenstände herumstehen. Verriegeln Sie die Fenster, und wenn sie nichts dagegen hat, bitten Sie sie, die Tür hinter sich abzuschließen, wenn sie ins Bett geht.«
    Ruth kam um sechs nach Hause, gab mir einen Kuß und ging unter die Dusche. Ich saß auf dem Fußboden und spielte mit Bully, bis das Telefon uns unterbrach.
    Es war Simon Best. »Entschuldigen Sie die Störung, Dr. Delaware, aber gibt es vielleicht schon etwas Neues?«
    »Leider noch nichts Konkretes. Tut mir leid, Reverend.«
    »Nichts Konkretes ? Heißt das, Sie haben vielleicht doch etwas aufgedeckt?«
    »Ich wünschte, ich könnte Ihnen echte Fortschritte melden, aber -«
    »Könnten Sie mich nicht mit Ihrem Patienten zusammenbringen? Vielleicht hilft es, wenn wir die Köpfe zusammenstecken. Ich will Ihnen keine Schwierigkeiten bereiten, im Gegenteil. Aber könnte es nicht auch Ihren Patienten ein wenig von der Last befreien?«
    »Ich werde darüber nachdenken, Reverend.«
    »Danke, Doktor. Gott segne Sie.«
    Wir nahmen Bully mit ins Restaurant und gönnten ihm danach eine kleine Rundfahrt. Er klemmte sich zwischen Ruth und die Beifahrertür und guckte beflissen zum Seitenfenster hinaus.
    Ruth lachte. »Schau nur, Alex, wie er auf uns aufpaßt. Wie ernst er seine Sache nimmt.«
    Der Abendhimmel färbte sich violett. Ich fuhr Richtung Norden nach Ventura; Bests Anruf hatte mich wieder an Doris Reingold und die Sheas erinnert. Ich fuhr von der Autobahn ab und zur Stadt hinein. Ruth schaute mich an, sagte aber nichts.
    Wir fuhren durch leere, stille Straßen. Das erste offene Geschäft war eine Tankstelle. Ich fuhr rechts ran, füllte Benzin nach und ging zum Münztelefon. Vom Telefonbuch waren nur noch Fetzen übrig, doch die Seiten mit »R« waren zum Glück noch da. Unter »Reingold, D.« stand eine Adresse an der Palomar Avenue, zehn Blocks weiter, nach Auskunft des Kassierers.
    Als ich wieder im Wagen saß, fragte Ruth: »Fahren wir jetzt nach Hause?«
    »Bitte, sei mir nicht böse, aber ich würde mir gern etwas ansehen.«
    »Hat es mit einem Patienten zu tun?«
    »Ja, indirekt.«
    »Willst du bei jemandem klingeln?«
    »Nein, ich will mir nur ein Haus ansehen, von außen. Es dauert nicht lange.«
    Sie seufzte. »Na gut.«
    Doris Reingolds Adresse war ein U-förmiger Bungalowkomplex an einer baumlosen Straße. Manche der Straßenlampen funktionierten nicht, doch der kurzgeschorene Rasen zwischen den Bauten lag im Flutlicht von Sicherheitsstrahlern.
    Vor einem der Häuser saßen sechs oder sieben langhaarige Burschen im High-Schoolalter bei Bier und Kartoffelchips. Sie hatten nackte Oberkörper, obwohl der Abend recht kühl war. Als ich mich näherte, murmelten zwei von ihnen: »‘n Abend.« Ein anderer hob seinen Daumen. Der Rest rührte sich nicht.
    Ich wandte

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