Narben
am Morgen, und ich fand ohne Probleme einen freien Computer, von wo ich mich in den Zeitschriftenkatalog einloggte.
Ich startete einen Autoren-Suchlauf, angefangen mit dem wahrscheinlichsten Kandidaten auf meiner Liste, David Mellors: Fehlanzeige, sowohl im Bücherverzeichnis als auch unter wissenschaftlichen Veröffentlichungen.
Zu Christopher Graydon-Jones fand ich drei Referenzen, die erste von vor zwanzig Jahren, als er von einer Versicherungsfirma, Enterprise Insurance, den Auftrag bekam, eine Bronze und Eisenskulptur für die Eingangshalle ihres Hauptquartiers herzustellen. Die L. A. Times hatte ein paar Zeilen darüber gebracht, jedoch ohne Foto.
Zwei Jahre danach tauchte er in einem Wirtschaftsmagazin auf, als Verkaufsleiter für dieselbe Versicherung - eine interessante Karriere für einen Bildhauer -, und fünf Jahre später hatte er es zum Geschäftsführer gebracht. Auf einem Publicityfoto wirkte er älter als seine fünfunddreißig Jahre, glatt rasiert, mit beginnender Glatze und Säcken unter den Augen.
Der nächste war Joachim Sprentzel. Er hatte vor acht Jahren Selbstmord begangen, »nach langer Krankheit«, hieß es in einem Nachruf, der außerdem seine »Treue zum Atonalismus und seine chromatische Abenteuerlust« hervorhob. Die Eltern lebten noch in München. Er hatte weder Witwe noch Kinder hinterlassen.
Vor seinem Tod hatte er an der Columbia University Komposition gelehrt. Ein Gruppenfoto aus der Zeit zeigte ihn zusammen mit seinen Dozentenkollegen: ein besessen aussehender junger Mann mit energischem, eckigem Kinn, dichtem schwarzem Haar und unruhigen Augen hinter kleinen runden Brillengläsern - und mit einem dichten Walroßschnurrbart!
Ein unverheirateter Mann, der nach langer Krankheit Selbstmord begeht. Aids, war mein erster Gedanke. Wie auch immer, er war tot und fiel aus für meine Nachforschungen.
Drei Männer an einem Grab. Wenn es Lowell, Trafficant und Sprentzel waren, dann waren sie alle mehr oder weniger außer Reichweite.
Ich las die Artikel noch einmal durch. Die Chance war gering, doch vielleicht arbeitete Graydon noch für dieselbe Firma. Ich schlug in den Gelben Seiten nach und fand Enterprise Insurance unter einer Adresse an der Sechsundzwanzigsten Straße in Santa Monica, mit dem Beitext: »Enterprise - Die Spezialisten für gewerbliche Haftung«.
Ich wählte und fragte nach Mr. Graydon-Jones. Zu meiner Überraschung hatte ich gleich eine zufrieden klingende Sekretärin am Apparat. Als ich sie fragte, ob ich mit ihrem Chef reden könnte, klang sie erheblich zurückhaltender.
»Worum geht es denn, Sir?«
»Um seine Zeit im Sanktum.«
»Welches Sanktum, Sir?«
»Das Sanktum war eine Künstlerkolonie, die von dem Schriftsteller Morris B. Lowell betrieben wurde. Mr. Graydon-Jones war damals Bildhauer. Es ist eine ganze Weile her. Ich arbeite an einer Biographie über Mr. Lowell und versuche…«
»Wollen Sie sagen, Mr. Graydon war früher Künstler?«
»Ja, er war Bildhauer. Er hat die Skulptur für Ihr Büro in der Innenstadt gemacht.«
»Dort haben wir seit Jahren kein Büro mehr. Wollen Sie mich auf den Arm nehmen, Sir?«
»Nein, bestimmt nicht. Könnten Sie ihm bitte sagen, ich hätte angerufen? Vielleicht möchte er mit mir reden.«
»Er ist im Moment nicht da. Wie war noch Ihr Name, Sir?«
»Del Ware, Sandy Del Ware.« Ich gab ihr meine Telefonnummer.
»In Ordnung, Mr. Del Ware«, sagte sie etwas zu schnell. Dann legte sie auf.
Es war Viertel nach zwölf. Vielleicht war Graydon beim Mittagessen. Ich hatte reichlich Zeit, und nach Santa Monica waren es nur zwanzig Minuten. Also beschloß ich nachzusehen.
Ich fand Enterprise unmittelbar südlich vom Olympic Boulevard in einem der besseren Industriegebiete, die hauptsächlich Elektronikfirmen beherbergen, in einem fünfstöckigen Gebäude aus Backstein und Glas. Im Erdgeschoß gab es ein Restaurant namens Escape, in dem hauptsächlich teure Burger und tropische Getränke angeboten wurden.
Die Versicherungsfirma bestand aus einem einzelnen Büro im zweiten Stock. An der Tür hing ein Schild: Mittagspause bis 14 Uhr . Von einer Skulptur war nichts zu sehen.
Ich fuhr ins Erdgeschoß zurück. Aus dem Restaurant kamen einladende Gerüche, also beschloß ich, zu Mittag zu essen und es danach noch einmal zu versuchen.
Die Empfangsdame musterte mich von oben bis unten »Eine Person?« - und wies mir einen winzigen Tisch in der Ecke vor den Klos an.
Ich bestellte mir ein Bier und einen Tahitiburger und schaute
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