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Narben

Narben

Titel: Narben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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mich an den mit dem Daumen.
    »Was gibt’s?« fragte er mit schleppender Stimme. »Sind Sie von der Polizei?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Wir sind nämlich ruhig seit zehn.« Er wischte sich das Haar aus den Augen und musterte mich. »Gehören Sie zur Hausverwaltung?«
    »Nein, ich suche -«
    »Die Miete haben wir bezahlt, und zwar in bar, an Mrs. Patrillo. Wenn sie es Ihnen nicht gegeben hat, können wir auch nichts dazu.«
    »Ich bin auf der Suche nach Doris Reingold. Weißt du, in welchem der Häuser sie wohnt?«
    »Nummer fünf, aber sie ist nicht da.«
    »Weißt du, wo sie ist?«
    Er kratzte sich den Kopf. »Sie hat ein paar Sachen zusammengepackt und ist verduftet.«
    »Wann war das?«
    Er runzelte die Stirn. »Gestern. Gestern abend.«
    »Um welche Zeit?«
    »Ich kam gerade nach Hause. Es war schon dunkel. Ich bot an, ihr beim Tragen zu helfen, aber sie wollte nichts davon wissen.« Er rülpste, so daß ich seinen Bieratem riechen konnte. Er trank einen Schluck und fragte mich, warum ich hinter ihr her war.
    »Ich bin mit ihr befreundet.«
    Er lächelte. »Ach ja? Na dann, herzliches Beileid.« Die anderen lachten.
    »Du bist doch nur sauer, weil sie dich übers Ohr gehauen hat, Kyle«, sagte einer von ihnen, ein Bursche mit Igelfrisur.
    Kyle drehte sich um und schaute ihn wütend an.
    »Gib es doch zu, Kyle«, ärgerte der andere ihn weiter.
    »Laß mich in Ruhe. Sie bescheißt, die alte Hexe.«
    »Worin?« fragte ich.
    »In allem: Poker, Würfel… Was hat sie mit Ihnen gespielt?«
    »Schach.«
    »Echt? Tut mir leid, aber ich glaube, sie hat sich einen neuen Freund gesucht.«
    »Wirklich?«
    »Ja, der Typ, mit dem sie verschwunden ist. Er fuhr einen dunkelgrauen BMW mit Chromfelgen.« Er spielte mit einem imaginären Schaltknüppel. »So einen kaufe ich mir auch bald.«
    »Quatsch«, sagte ein anderer Bursche, »krieg erst mal deinen Führerschein zurück, und dann lern vernünftig Karten spielen.«
    »Keine Angst, ich hol es mir zurück, Arschloch.« Offenbar hatte ich Kyle den Abend verdorben. Er beugte sich vor und warf seine Bierdose knapp an meinem Kopf vorbei auf die Straße, wo sie scheppernd davonrollte.
    »Mann, mach keinen Lärm«, sagte einer der Burschen.
    »Ach, Scheiße!« Kyle stand auf und tänzelte vor mir herum. Er hatte nichts an außer ein Paar sackiger Shorts. Beide Arme waren tätowiert. »Scheiße!« fluchte er noch einmal. »Nun sagen Sie schon, was wollen Sie eigentlich?«
    Ich hob meinen Daumen und ging.
    Als ich in den Wagen stieg, fragte Ruth, ob alles in Ordnung wäre.
    »Kein Problem. Ich bin nur froh, daß ich das Alter hinter mir habe.«

31
    Gleich nachdem ich mit Doris geredet hatte, war sie von Tom Shea abgeholt worden. Wahrscheinlich war ich also auf der richtigen Spur. Lucys Traum wurde immer wirklicher. Ich dachte an die drei Männer, Lowell und zwei andere, einer davon - der mit dem Rücken zu ihr - höchstwahrscheinlich Trafficant.
    Wer aber war »Haarige Lippe«?
    Möglicherweise irgendein anderer Gast, obwohl Lowell und Trafficant ihn gut genug gekannt haben mußten, daß sie ihn bei dem Privatbegräbnis dabeihaben wollten.
    Als wir zu Hause waren, las ich noch einmal die Zeitungsberichte über die Sanktum-Eröffnung und blieb an drei Namen hängen, zu denen es keine Bilder gab: Christopher Graydon-Jones, der englische Bildhauer, Joachim Sprentzel, der deutsche Komponist, und David Mellors, der aufstrebende amerikanische Romancier. Letzterer hatte die einzige positive Kritik zu Es werde Licht geliefert. Auch Trafficants Buch hatte er gelobt. War das seine Vorleistung für das Stipendium gewesen? Je länger ich darüber nachdachte, desto plausibler fand ich es.
    Lowell und seine beiden Musterschüler.
    Vielleicht war die Literaturwelt nicht das einzige, in das er sie eingeführt hatte.
    Am nächsten Morgen dachte ich als erstes an Lucy, die heute mit Ken etwas unternehmen würde. Unsere nächste Sitzung war für einen Tag danach angesetzt.
    Ich kümmerte mich um das Frühstück, und während Ruth unter der Dusche stand, rief ich noch einmal in New York an, bei Trafficants altem Verlag, wobei nur herauskam, daß Autoren, die nicht mehr im Druck sind, keinen großen Respekt genießen.
    Um halb neun war Ruth fertig und wollte sofort zur Baustelle. Sie fuhr mit Bully in ihrem Lieferwagen, und ich folgte ihr bis nach Bel Air, von wo sie weiter Richtung Osten fuhr und ich zur Universität abbog.
    Um halb zehn betrat ich die Bibliothek. Für Studenten war es noch früh

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