Narben
Wahrscheinlich war er traurig, weil keine Jungs da waren, mit denen er spielen konnte. Außerdem war er Deutscher… Er war nicht sehr gesellig, aber das war eigentlich keiner von uns. Buck gab jedem von uns eine Blockhütte und sagte, wir sollten uns einschließen und ›genial sein‹. Die ganze Angelegenheit war alles andere als vergnüglich.«
»Aber bei der Eröffnungsfeier soll es doch hoch hergegangen sein.«
»Das habe ich auch gehört - Wein, Weib und Gesang. Der einzige Spaß in dem ganzen Jahr, und ich Trottel mußte im Krankenhaus liegen und mir den Blinddarm herausnehmen lassen. Als ich zurückkam, redete der Alte nicht mehr mit mir, zur Strafe, weil ich seine Party geschwänzt hatte. Als ob mein Blinddarm mit Absicht geplatzt wäre. Ein paar Monate später gab er mir dann den Tritt.«
Er nahm die Selleriestange aus seinem Glas und knabberte daran.
»Mein Gott, wenn ich daran denke… Glauben Sie wirklich, Sie könnten ein Buch daraus machen?«
»Das hoffe ich.«
»Schicken Sie mir ein Exemplar, wenn es je gedruckt wird.«
»Das mache ich bestimmt, und wo Sie gerade von Drucken reden: Ich finde nichts über diese beiden Schriftsteller, Terrence Trafficant und David Mellors. Trafficant hatte einen Bestseller, bevor er von der Bildfläche verschwand, und Mellors scheint nie etwas veröffentlicht zu haben.«
»Terry der Korsar und David… Meine Güte, an die habe ich seit Jahren nicht mehr gedacht. Terry ist vermutlich wieder im Gefängnis. Was David angeht, habe ich keine Ahnung.«
»Sie meinen, Trafficant könnte wieder in Schwierigkeiten sein?«
»Bestimmt. Was Sie Schwierigkeiten nennen, war doch das einzige, was er konnte. Er hielt sich für den größten Bösewicht aller Zeiten. Er dachte, er wäre der große Desperado, dabei war er nur ein gewöhnlicher Krimineller. Er lief mit einem riesigen Jagdmesser durch die Gegend, mit dem er sich nach dem Essen die Zähne und Fingernägel reinigte. Sonst steckte es in seinem Gürtel oder lag neben seinem Teller, den er mit einem Arm schützte, als wollten wir ihm sein Fressen wegnehmen. Dem armen Sprentzel machte er das Leben besonders schwer. Einmal zog er sein Hemd aus und fragte ihn, ob er ihn hübsch fände. Er machte Sprentzels Akzent nach und nannte ihn Schwuchtel und Schlimmeres. Er drohte ihm auch.«
»Was für Drohungen waren das?«
»›Ich mach dich zu meiner Frau, du schwule Sau‹ - und ähnlichen Unsinn. Wir hatten alle Angst vor ihm, aber Lowell nahm ihn ständig in Schutz. Er schien ihn sich als Wachhund zu halten. Ich würde ihn im Gefängnis suchen.«
»Seltsam. Warum sollte er nach seinem Erfolg in seine alten Gewohnheiten zurückfallen?«
»Weil er ein Verbrecher ist«, sagte Graydon mit überraschender Inbrunst. »Er ist nie etwas anderes gewesen.«
»Und was ist mit Mellors?«
»Noch so ein Bürschchen. Er war sehr intelligent, das muß man ihm lassen, aber leider ein Arschkriecher.«
»Lowell gegenüber?«
»Lowell und Trafficant. In Lowells Gunst war er die Nummer zwei, würde ich sagen.«
»Das klingt, als hätte es eine Hierarchie gegeben.«
»Ganz bestimmt. Terry war ganz oben und dann kam David. Danach Sprentzel und ich, im Kampf um Platz drei, obwohl Sprentzel wahrscheinlich keine Chance hatte, weil er schwul war. Dafür hatte Buck gar kein Verständnis, mit seinem Männlichkeitsfimmel.«
»Trotzdem hat er Sprentzel aufgenommen.«
»Er wußte nichts davon, als er ihn einlud. Sprentzel gehörte nicht zu den Leuten, die sich die Lippen schminken und überall ausposaunen, daß sie schwul sind. Ich weiß gar nicht mehr, wie wir überhaupt davon erfuhren. Wahrscheinlich von Terry. Der hat ständig davon geredet.« Er senkte den Kopf. »Das ständige Herumfuchteln mit diesem Messer… Nein, Sprentzel war bestimmt ganz unten auf der Leiter.«
»War Mellors auch so ein harter Bursche?«
»Nein, überhaupt nicht. Er war eher der Dozententyp. Gerissen, aber nicht gemein.«
Ich überlegte, wie ich ihn nach Mellors’ Aussehen fragen könnte, ohne Verdacht zu erregen, und sagte schließlich: »Von Trafficant habe ich Fotos, aber nicht von Mellors.«
»Ja, Terry war für kurze Zeit eine ziemliche Berühmtheit mit seinem Buch.«
»Und Mellors? Hat der je etwas fertiggeschrieben?«
»Da fragen Sie mich zuviel.«
»Wissen Sie, woran er arbeitete?«
Er zuckte die Schultern. »Wie ich schon sagte, Lowell hatte es lieber, wenn wir isoliert arbeiteten.«
»Wie sah er aus? Ich würde mir gern ein Bild von ihm
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