Narcopolis
welligen, mit Gischtspritzern behangenen Linie aus verwaschenem Silber und Blau, am Himmel ein gelber Mond wie das halbgeschlossene Auge eines Raubvogels. Aber es waren keine Sterne zu sehen, kein einziger, nirgendwo. Wo sind die Sterne hin, dachte er. Wie wollen die Schiffe ohne Sterne ihren Kurs halten? Doch dann fiel ihm ein, dass die Sterne tot waren, lange schon tot, und dass man ihrem Licht nicht trauen konnte, dass es falsch war, dieses Licht, wenn nicht gar verlogen, jedenfalls konnte es seiner Aufgabe nicht genügen, die darin bestand, das Böse der Menschen zu erhellen. Er meinte, eine Dschunke zu sehen, fast hundert Meter lang, eine mit neun Masten und riesigen Segeln, umringt von einer Flottille kleinerer Schiffe – Versorgungsschiffe, Wasserfassboote, Transportschiffe für Kavalleriepferde und schnelle Patrouillenboote. Er kannte die Dschunke und den Kapitän. Auf dem Wasser leuchteten ihre Lichter, violett auf violett, und er dachte, wenn er nur lang genug wartete, käme eines der kleinen Boote, um ihn zu holen. Das Schiff war weit fort von daheim, befand sich offenbar aber in gutem Zustand, wie es da solide im Wasser lag und so nahe, dass er die Takelage sehen konnte. Das Kommando führt der Eunuchenadmiral Zheng He, erzählte er Dimple, der große chinesisch-muslimische Navigator, und er ist gekommen, mich heimzuholen. Dann hörte er Trommeln, Buschtrommeln, und er musste an Medizinmänner denken, während das Bild der großen Dschunke im violetten Nebel verschwand. Er vernahm das Geräusch der Wellen und hörte jemanden Hindi reden oder fluchen. Fotze deiner Mutter, sagte die Stimme. Vielleicht nannte sie auch einen Namen, Marky Chu. Lee gestand Dimple, er sei krank. Er habe ein Kratzen im Hals, aber er wolle nicht ins Hospital, das hätte keinen Sinn, er wisse ja, was es sei. Er sagte, er brauche Opium wegen der schmerzlindernden Wirkung, genau wie sie. Er habe eine ganze Liste mit Beschwerden und Schmerzen aufgestellt. Das sei etwas, was sie verbinde, dieses Auflisten von Schmerzen. Ich lebe in Schmerzen, sagte er, als wäre das ein Land. Als sagte er, ich lebe in Spanien.
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Er sagte, er bringe ihr die wichtigen Dinge bei, angefangen mit dem Allerwichtigsten, der richtigen Art und Weise, Tee und Reis zu kochen, so dass der Tee nicht zu stark und der Reis nicht zu weich wird. Er sagte: Willst du kochen, musst du indische Küche vergessen. Indische Küche ist wie amerikanische Küche, alles verkocht. Die kennen keine Feinheiten. Er schickte sie los, Tintenfisch zu kaufen. Sie brachte die Tentakeln im Eisbeutel nach Hause, teilte sie mit sauberem Schnitt in dünne Scheiben und gab die Tintenfischstücke in einen Topf, zusammen mit Ingwer, grünen Zwiebeln und etwas schwarze Bohnenpaste. Er sagte, sie solle den Tintenfisch nur kurz über die Flamme ziehen, sie aber briet ihn fünf Minuten, bis er zäh und gummiartig war. Zu durch, sagte er. Altes chinesisches Sprichwort sagt, zum Furzen braucht man Hose nicht ausziehen. So redet er, dachte sie. Er gibt Verlautbarungen zum Besten, so als wäre alles, was er sagt, das letzte Wort zu diesem Thema. Er redet in Sprichworten. Es gibt nichts, was ich darauf erwidern könnte.
Lee brachte ihr bei, wie man Pfeifen zubereitete, da ihm neuerdings selbst diese Tätigkeit schwerfiel. Bald sei er ein tattriger alter Kerl und brauche Hilfe beim Essen und Scheißen. Er würde in einem Krankenhaus enden, sagte er, der Gnade der Inder ausgeliefert. Das wenige, was er wisse, wolle er weitergeben, solange er dazu noch in der Lage sei. Er sagte, das Wichtigste ist, sich Zeit zu lassen; die Vorbereitung einer Pfeife sollte länger dauern, als sie zu rauchen; Eile und Hast widersprächen dem, was Opium bedeute. »Geduld«, sagte er. »Habe Geduld. Bist du nicht geduldig, bist du nicht gut.« Er brachte ihr die richtige Haltung bei, brachte ihr bei, wie man den Kopf so neigte, dass er auf einer Höhe mit der rechten Schulter war. Er riet ihr, einen Moment lang die Augen zu schließen, ehe sie nach der Pfeife griff, und sich vor der Lampe zu verneigen, ehe sie früh am Morgen angezündet wurde. Sie dachte: Aber das hier ist eine Chandu-Khana; wir rauchen Opium. Wir beten nicht, wir werden high. Trotzdem befolgte sie seine Anweisungen und begann den Tag mit einigen Augenblicken der Stille, die Pfeife im Schoß.
Er brachte ihr ein wenig Chinesisch bei.
Ho leng ah
, und
ha
tho
, damit sie mit den Verkäufern des chinesischen Ladens feilschen konnte, in dem
sie Fisch
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