Narcopolis
und Gemüse besorgte. Sie sagte,
kitna?
, Hindi für
wie viel?,
klänge ein wenig wie das Kantonesische
kay dow cheen ah?
, vor allem, wenn man es schnell ausspreche. Das machte ihn wütend. Zwischen den beiden Sprachen bestehen keine Ähnlichkeiten, sagte er, überhaupt keine. Sie rede Blödsinn.
Er brachte ihr das Fluchen bei, geballte Schimpfworte, die gleichermaßen Katastrophen auf Nachfahren wie Vorfahren herabwünschten, Flüche so wirkungsvoll und vernichtend wie nur irgendeine chinesische Kampfkunst. »Sprich mir nach«, sagte er und redete langsam und viel zu laut. »Dew lay low mow chow hai siu fun hum ka chaan.« Er lehrte sie die richtige Aussprache, das Stakkato der einsilbigen Worte, die Plosivlaute, die im Mund explodierten, lehrte sie die richtige Betonung von
dew
, Kantonesisch für
ficken
, und riet ihr, den Vokal in die Länge zu ziehen. Er ermunterte sie, Variationen auszuprobieren.
»Freu dich am Klang. Ist einzige Möglichkeit, richtig zu sprechen.«
Und er wiederholte, sang die Flüche, weil er so viel Spaß daran hatte.
»Eine Frage«, sagte Dimple.
Mr Lee nahm eine Zigarette aus der Schachtel und betrachtete sie. Er hatte das Rauchen eingeschränkt, und statt sie gleich anzustecken, ließ er sich nun Zeit. Gedämpfte Detonationen waren zu hören, vier hintereinander; er erstarrte, dann folgte ein halbes Dutzend lauter Donnerschläge.
Er gab sich Feuer und sagte: »Nichts, bloß Feuerwerk fürs Fest. Inder sind bescheuert.«
Sie saßen im Hof, in der Sonne, und Dimple trug Mr Lees Gartenstrohhut. Sie schützte ihren
Teint
, ein Wort, auf das sie in der Zeitschrift
Stardust
gestoßen war. Mr Lee nahm die Zigarette aus dem Mund, um zu husten, und sprach, vom Husten unterbrochen: »Was f…f…für F…Frage?«
»Warum soll ich lernen, auf Kantonesisch zu fluchen? Wen soll ich denn in Bombay verfluchen? Das versteht doch keiner.«
»Ist am besten. Wenn keiner versteht, kannst du fluchen, so viel du willst. Genau wie ich.«
Er zieht sich zurück, dachte sie. Er verabschiedet sich.
Zweites Buch
Die Geschichte der Pfeife
1 Mit Mr Lee in Spanien
Er verabschiedet sich in Etappen. Er macht es mir leichter, dachte sie. Er bringt mir bei, was es heißt, allein zu bleiben. Sein Husten war zum Dauerhusten geworden. Das Opium linderte ihn, aber nur für kurze Zeit. Ganze Tage brachte Mr Lee auf der Liege zu, träumte und hustete. Sie hörte das Kratzen in seiner Kehle, ein privates, zutiefst persönliches Geräusch, das sie verlegen machte. Sie hörte sein Bellen, und es erinnerte sie an Menschen, die sie kannte, Menschen, die alle diesen Laut tief in ihrer Brust mit sich herumtrugen, von wo er sich eines Tages Gehör verschaffen würde. Sie schüttelte den Kopf, um den Husten loszuwerden, doch blieben er und sein Echo den ganzen Tag in ihrem Ohr.
Sein fünfundfünfzigster Geburtstag war Ende Dezember, als der kurze Winter dieser Stadt begann. Sie fuhr mit dem Taxi nach Kemps Corner zu einer Parsi-Bäckerei und kaufte einen Kuchen in Herzform. Auf dem Rückweg kurbelte sie das Fenster herunter und genoss den kühlen Wind im Gesicht. Es roch nach Kampfer. Auf der Grant Road Bridge gab es einen Stau. Zehn, fünfzehn Minuten lang kam das Taxi nicht vom Fleck, auf allen Seiten von Fahrzeugen bedrängt. Dann zog eine Prozession vorbei, Trauernde, ein kleine Gruppe im Gänsemarsch, dahinter vier Männer, die eine Bahre trugen. Der nur mit einem Tuch bedeckte Leichnam wippte bei jedem Schritt der Träger so heftig auf und ab, dass Dimple fürchtete, er könnte auf die Brücke fallen. Dieser Anblick war ihr so unangenehm, dass er das gerade noch genossene angenehme Gefühl vertrieb, und sie musste daran denken, was ihr ein Kunde aus einer englischen Zeitung vorgelesen hatte. Ein Zitat aus dem
Mahabharata
, der ›Gedanke des Tages‹, von der Zeitung auf die Titelseite gesetzt:
Nur Eunuchen verehren das Schicksal
. Der Girak hatte gescherzt und sie gefragt, ob es stimme, das Zitat war ihr jedenfalls im Gedächtnis haften geblieben. Denn sie glaubte an das Schicksal, an Geister und an Pech, und wenn sie dadurch erst recht zum Eunuchen wurde, dann konnte sie auch nichts dagegen tun. Das war Schicksal.
Die Tür zur Khana stand offen, als sie, den Kuchen vor sich hertragend, spät abends kam. Mr Lee lag auf dem Boden, die Augen offen, ein Bein verkrümmt. Sie brachte ihn ins Krankenhaus, wo man ihn am Knie operierte. Der Arzt sagte, er habe einen Schlaganfall gehabt, einen kleinen, doch müsse
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