Narcopolis
schickte er sie arbeiten. Mit Vorliebe zitierte der alte Gauner aus dem Baburnama: ›Frauen für die Vermehrung, Jungen für die Lust, Melonen fürs Vergnügen.‹
Salim reichte Rashid zwei Flaschen Johnnie Walker, und Rashid sah gleich nach, ob sich jemand an den Siegeln zu schaffen gemacht oder kleine Löcher in den Verschluss gebohrt hatte. Er hielt die Flaschen gegen das Licht und prüfte die Farbe, während Salim fragte, ob er
Polyester Khadi
gesehen habe, den neuen Film mit Amitabh Bachchan, in dem Bachchan den Sohn eines Polizisten spielt, der zum Kriminellen wird, weil er mit ansehen muss, wie hart das Leben seines Vaters ist. Nein, sagte Rashid, er habe ihn nicht gesehen und habe es auch nicht vor, da er Besseres mit seiner Zeit anzufangen wisse, als sich diesen dämlichen Amitabh Bachchan anzuschauen. Die beste Szene im Film, sagte Salim, sei der Showdown zwischen Polizistenvater und Gangstersohn.
»Weißt du, was er seinem Vater sagt, der vom alten Sanjeev Kumar gespielt wird?«
Statt zu antworten, schüttete Rashid ein Häuflein Pulver auf den Spiegel und blickte hoch, den Hundert-Rupien-Schein in der Hand. Salim stand auf, um sein Zitat loszuwerden, deklamierte es mit einem coolen, gelangweilten Bariton, der dem des großgewachsenen Schauspielers sehr nahe kam:
»Bist du ein Mann oder ein Pyjama?«
Rashid fragte: »Und? Was antwortet der dämliche Kumar?«
Wieder erhob sich Salim.
»Falls ich ein Pyjama bin, dann einer zu hundert Prozent aus indischem Khadi und nicht aus amerikanischem Polyester.«
•••
Rashid beugte sich über den Spiegel, doch aus so kurzer Distanz erschreckte ihn das eigene Gesicht, die blauen Adern an der Schläfe, die Haut wie geronnene Milch, am Kinn ein kränklicher Schatten grüner Stoppeln. Sein Haar war zu lang, fast so lang wie das von Salim; es musste dringend geschnitten und gewaschen werden. Paan hatte seinen Mund dauerhaft rot verfärbt. Am schlimmsten aber waren die Augen, blutunterlaufen und zugleich getrübt. Dann spürte er, wie seine Kehle taub wurde und auf die Ohren ein dumpfer Laut drückte. Also rieb er sich ein wenig von dem Pulver aufs Zahnfleisch, und eine Welle der Übelkeit schlug über ihm zusammen; er wandte den Blick von seinem mitgenommenen Antlitz ab. Noch aber lag eine halbe Line auf dem Spiegel. Er schniefte sie weg. Sein Herz schlug so unregelmäßig und schnell, dass er davon überzeugt war, es würde ihm gleich aus der Brust springen und auf dem von einer Glasplatte bedeckten Schreibtisch landen.
»Diese Chanduli in deiner Khana, Bhai, diese Dimple, die Pfeifen zubereitet …«
»Ja?«
»Du weißt schon? Dimple?«
»Was ist mit ihr?«
»Sie kümmert sich in deiner Khana um die Pfeifen.«
»Ich weiß, was sie tut; sie arbeitet für mich.«
»Sie ist eine Hijra, richtig? Und sie war mal ein Mann, oder?«
»Lange her. Ihr Schwanz war bestimmt größer als deiner.«
»Ich habe mich nur gefragt, Bhai, warum sie so weiblich aussieht. Ich meine, wenn man nicht wüsste, dass sie eine Hijra ist, könnte man sie glatt für eine richtige Frau halten.«
»Hör mal, Salim, wenn dich das so interessiert, solltest du sie vielleicht selbst fragen, lad sie ins Kino ein, stell sie deiner Familie vor. Sie hat was übrig für Jungen wie dich.«
•••
Mit Glasröhrchen und den Flaschen Johnnie Walker in den Händen ging Rashid zur Khana zurück. Er war jetzt ruhiger. Selbst die Hitze fand er milder, die Sonne stand direkt über ihm, war aber nicht unangenehm, und der Lärm in seinem Kopf verebbte zu einem Summen so stetig und kontrolliert wie brennendes Papier in einem Aschenbecher. Das weiße Hemd trug er offen bis zum Brustbein, die Hose hing ihm unterm Bauch. Er trug nur Weiß. Sah er in den Schaufenstern Mannequins oder auf der Straße Menschen in dieser Farbe, fielen ihm die weiß gewandeten Gestalten so deutlich auf, als wären sie Engel unter den Erdverhafteten.
Ihm kam Samils Zitat in den Sinn:
Bist du ein Mann oder ein Pyjama?
Er wünschte sich mehr als diese beiden Möglichkeiten. Sein Vater hatte erzählt, dass sie von den Moguln abstammten, von einem Beg, der mit Humayun geritten war. In Delhi gab es einen Zweig der Familie, dem Häuser und Gärten aus dem sechzehnten Jahrhundert gehört hatten. So wollte es eine Familienlegende, der er misstraute, doch hin und wieder ertappte er sich dabei, wie er an die Moguln dachte, an das von ihnen geliebte Majoun, das sie mit einem Glas Milch einnahmen als wäre es Medizin, und er sah
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